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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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machen.« Mary sah ihn an.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Wir müssen uns still verhalten. Die Polizei hat Wind bekommen.« »Ach was.« Mary setzte sich an den Tisch und betrachtete ihre Fingernägel. »Was werden wir jetzt tun?« fragte sie.
    Joe streifte Evelyn mit einem raschen Blick. Ohne zu antworten erhob er sich und ging ins Schlafzimmer.
    Mary sah sie an. »Was hat er denn?«
    Evelyn zuckte die Achseln. »Du kennst doch Joe«, sagte sie. »In manchen Sachen ist er schrecklich empfindlich.«
    Mary lachte auf. Evelyns Worte wirkten auf sie noch komischer, weil sie mit solchem Ernst gesprochen wurden. »Das einzige, worin er empfindlich ist«, rief sie, »ist seine Brieftasche.«
    Evelyn hörte den Spott nicht heraus. »Ja, das ist es gerade«, stimmte sie ihr bei. »Er schämt sich, dich um Geld zu bitten, damit wir von hier verschwinden und uns nach New Orleans absetzen können.« Mary riß die Augen auf. »Was hat er denn mit seinem Geld gemacht? Er bekommt doch die Hälfte von allem, was wir verdienen.«
    Evelyn wich ihrem Blick aus. »Alles verpulvert. Beim Pferderennen. Was weiß ich.« Sie lächelte Mary an. »Ich habe ihm gesagt, er soll sich keine Sorgen machen. Wenn du genug Geld hättest, würdest du es uns sicher gern pumpen.«
    Marys Gesicht war undurchdringlich. »Ich habe ungefähr zweiundzwanzig Dollar in meiner Handtasche. Die kann er haben, wenn ihm das hilft.«
    Ein Ausdruck der Enttäuschung trat in Evelyns Augen. »Ist das alles? Und was ist mit dem übrigen Geld? Du mußt ein paar hundert Dollar übrig haben. Du hast doch nichts davon verplempert.«
    Mary lächelte. »Ich habe alles für Kleider ausgegeben. Wenn man erst einmal anfängt einzukaufen, ist es nicht viel.«
    Durch die Tür des Schlafzimmers war Joes verärgerte Stimme zu vernehmen. »Ich habe es dir doch gleich gesagt, Evelyn. Nichts wird sie uns geben. Wir haben sie zu gut behandelt. Es gibt nur eine Methode, so einem Luder beizubringen, wer hier der Chef ist.« Drohend trat er auf Mary zu.
    Ruhig griff sie in ihre Handtasche und nahm das Klappmesser heraus, das sie bei ihrem ersten Einkaufsbummel erstanden hatte.
    Fest blickte sie ihm in die Augen und ließ das Messer aufschnappen. Die scharfe, schimmernde Klinge reflektierte das Licht im Zimmer. »Hat dir Evelyn jemals erzählt, warum man mich in die Anstalt gesteckt hat?« fragte sie ihn mit ruhiger Stimme.
    Joe prallte zurück, sein Gesicht war hochrot. Fragend sah er Evelyn an.
    Evelyns Gesicht war weiß. »Sie hat ihren Stiefvater mit einem Messer ziemlich übel zugerichtet.«
    Er starrte Mary an. Sie begann sich ihre Fingernägel mit der Spitze des Messers zu reinigen. Erneut wandte er sich Evelyn zu. »Du suchst dir vielleicht feine Freundinnen aus!« rief er gereizt. »Und dabei hast du gesagt, sie sei was Besseres.«

8
    Sie zog sich schon früh in ihr Zimmer zurück und las noch eine Weile, bevor sie einschlief. Durch die geschlossene Tür vernahm sie das leise Summen der Unterhaltung. Sie mußte lächeln. Joe hatte die zweiundzwanzig Dollar anstandslos genommen. Was würden sie als nächstes tun, fragte sie sich. Schließlich schaltete sie das Licht aus und schlief ein. Morgen war wieder ein Tag; Zeit genug, darüber nachzudenken.
    Als sie erwachte, fiel heller Sonnenschein durch das offene Fenster. Sie rollte sich auf dem Bett herum und streckte sich. Es war wunderbar, zu einer vernünftigen Zeit ins Bett zu gehen. Sie hatte fast vergessen, wie es war. Sie stieg aus dem Bett und nahm ihren Morgenmantel vom Stuhl. In diesem kleinen Zimmer gab es keine Schränke, nur in dem großen Raum, in dem Joe und Evelyn schliefen.
    Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und ging in das andere Zimmer hinüber. Verwundert runzelte sie die Stirn. Das Bett war leer. Niemand hatte darin geschlafen. Sie trat ans Fenster und blickte hinaus. Auch vom Wagen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Am Wasserhahn füllte sie die Kaffeekanne, während sie noch immer überlegte. Die beiden waren wahrscheinlich am vergangenen Abend ausgegangen und noch nicht zurückgekehrt. Sie schaltete die Platte unter der Kaffeekanne ein und trat an den Wandschrank.
    Alles leer. Alle Kleider verschwunden. Hastig riß sie die Schubladen der Kommode auf. Nichts mehr da. Still fluchte sie in sich hinein. Die einzige Kleidung in der ganzen Wohnung bestand aus dem, was sie im Augenblick trug: ein Nachthemd, ein billiger Morgenmantel und ein Paar Hausschuhe. Sie hatten alle ihre Kleider mitgenommen, sogar

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