Die Moralisten
begriff sie. Für dieses Leben also war sie geboren. Das war es, was alle anderen in ihr sehen konnten.
»Dort hinein«, sagte sie ruhig und machte ein Zeichen zur Tür hin. Wieder kam er auf sie zu.
Sie schüttelte leicht den Kopf. »Wozu die Eile?« fragte sie. »Ich laufe Ihnen nicht davon.«
Er zögerte, drehte sich dann um und ging ins Schlafzimmer hinein, wobei er sich im Gehen das Hemd auszog. Sie hob ihren zerrissenen Morgenmantel auf und folgte ihm in das Zimmer.
9
Sie betrat die Hotelhalle und suchte sich in einer etwas entlegenen Ecke einen Platz. Sie schlug ein Exemplar von Vogue auf, das sie mitgebracht hatte, und blätterte flüchtig in ihm herum. Jeder, der sie sah, hätte sie für ein hübsches, junges, sonnengebräuntes, frisches Mädchen gehalten, das dort auf seinen Freund wartete. Das tat sie auch - in gewisser Weise. Ein paar Minuten verstrichen. Dann blieb ein Boy vor ihr stehen. »Zimmer 311«, sagte er leise.
»311«, wiederholte sie, ein Lächeln auf ihren Lippen.
Er nickte. »Jawohl. Er wartet jetzt oben.«
»Danke.« Sie lächelte und streckte ihre Hand aus.
»Vielen Dank, Miß«, sagte der Boy und nahm die beiden Scheine entgegen. Dann entfernte er sich rasch.
Langsam schloß sie die Zeitschrift und blickte sich, als sie aufstand, in der Halle um. Alles ging seinen normalen Gang. Der Hausdetektiv blickte in die andere Richtung, die Empfangschefs waren mit Neuankömmlingen beschäftigt, und die anderen Leute in der Halle waren alle Gäste. Befriedigt von dieser raschen Überprüfung schlenderte sie zu den Fahrstühlen hinüber. Es gab nichts, worum sie sich Sorgen zu machen brauchte. Mac, der Wirt ihrer Pension, hatte sie ausgezeichnet beraten.
»Such dir einen festen Platz, von dem aus du operierst«, hatte er ihr aus seiner Erfahrung geraten. »Und bevor du etwas unternimmst, sorg dafür, daß jeder, der sich interessieren könnte, etwas in die Hand gedrückt bekommt. Dann werden sie dich in Ruhe lassen und dir sogar helfen.«
Sie nickte. »Das klingt vernünftig.«
Er sah sie unverwandt an. »Auf keinen Fall darfst du jemanden hierherbringen. Ich habe hier ein sauberes Haus und will keinen Ärger haben.«
»Wenn du willst, kann ich ja ausziehen«, entgegnete sie.
Er dachte einen Augenblick nach. »Nein, warte mal, ich habe eine Idee. Ein Freund von mir hat alle Boys im Osiris unter sich. Ich werde mit ihm reden. Vielleicht kann er dir behilflich sein.«
Das Osiris war eines der neuen Hotels am Strand. Der Chef der Boys war nur zu bereitwillig gewesen, ihr zu helfen. Neue Mädchen waren immer gefragt. Innerhalb eines Monats hatte sie mehr Geld verdient, als sie jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Aber bis sie alle bezahlt hatte, blieb für sie nur ein kleiner Teil.
Sie erreichte einen Durchschnitt von vier Besuchen am Tag, wie sie es nannte. Sie erstreckten sich auf alle Hotels, mit denen der Freund ihres Wirts in Verbindung stand, damit sie nicht allzusehr auffiel. Bei zehn Dollar für einen Besuch kam sie auf vierzig Dollar am Tag. Dreißig Dollar gingen davon als Schweigegelder ab.
Sie drückte auf den Knopf und wartete auf den Fahrstuhl. Während sie wartete, holte sie einen neuen Schein hervor. Der FahrStuhlführer mußte ebenfalls sein Trinkgeld erhalten. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.
Unwillkürlich zuckte sie zusammen und drehte sich um. Gordon Paynter lächelte sie an. »Ich wollte Sie nicht erschrecken, Miß Flood.«
Sie hielt den Atem an. »Mr. Paynter!«
»Ich hatte mich schon gefragt, was aus Ihnen geworden ist. Sie sind nicht mehr an den Strand zurückgekommen.«
»Am gleichen Tag ist die Nummer geplatzt«, erklärte sie. »Da hatte ich genug zu tun, mich nach etwas anderem umzusehen.«
»Kommen Sie mit in die Bar etwas trinken«, schlug er vor. »Dann erzählen wir uns gegenseitig das Neueste.«
Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich und der Fahrstuhlführer streckte den Kopf heraus. »Aufwärts, bitte.«
Sie sah Gordon an. »Ich kann nicht«, erwiderte sie. »Ich habe eine Verabredung.«
»Die kann ein paar Minuten warten«, entgegnete er. »Ich habe in der ganzen Stadt nach Ihnen gesucht.«
Innerlich mußte sie lachen. Es war leicht genug, sie zu finden, wenn man nur die richtigen Leute kannte. Er brauchte nur ein Zimmer im Hotel zu nehmen und eine junge Blondine zu bestellen. »Nein, es geht wirklich nicht«, sagte sie. »Ich muß diesen Mann sprechen. Es handelt sich um eine Arbeit.«
»Dann warte ich«, antwortete Gordon Paynter.
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