Die Moralisten
ein paar Minuten im Operationssaal.«
Immer noch etwas unsicher auf den Beinen ging Sofia zum Fenster. Draußen waren ein langer, weißer Strand, eine Palmenpromenade und eine Gruppe von weißen Hochhäusern zu sehen. »Wo sind wir hier?«
fragte Sofia. »Ist das Santa Monica?«
Die Krankenschwester sprach zwar akzentfreies Amerika nisch, aber ihr Lachen war gänzlich japanisch.
»Sie sind meilenweit von Santa Monica entfernt«, sagte sie. »Sieht das da draußen wie Santa Monica aus?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Sofia. »Ich bin noch nie in Santa Monica gewesen.«
Die Schwester lächelte und zeigte auf eine schmale Landzunge. »Das da draußen ist Diamond Head.«
»Diamond Head auf Hawaii?« fragte Sofia verblüfft. »Honolulu«, korrigierte die Schwester. »Ihr Zimmer liegt ziemlich genau in der Mitte von Waikiki Beach.« Sofia starrte ungläubig hinaus auf den Strand.
»Und wie lange bin ich schon hier?«
»Ich mache jetzt seit sieben Uhr Dienst«, erklärte das
Mädchen. »In Ihrem Krankenblatt steht, daß Sie um zwei Uhr morgens eingeliefert worden sind.« »Ich kann mich an gar nichts erinnern«, stammelte Sofia.
»Die Nachtschwester sagt, Sie hätten geschlafen, als Sie hierhergebracht wurden«, sagte das Mädchen. Sie kicherte fröhlich. »Wie es scheint, haben Sie die größte Abschiedsparty aller Zeiten gefeiert, Mrs. Evans.«
Sofia schwieg. Mrs. Evans? Wie kam das Mädchen auf Mrs. Evans? Nun ja, es klang so ähnlich wie Ivancich.
»Ich glaube, ich werde jetzt duschen«, erklärte sie. »Das wird Sie aufmuntern«, nickte das Mädchen.
»Ich werde Ihnen inzwischen ein nahrhaftes Frühstück bestellen. Rühreier mit Schinken, Toast und Kaffee.
Ist das recht?« »Ja, bitte«, sagte Sofia. »Recht viel Kaffee. Starken Kaffee.« Wieder war das japanische Lachen zu hören. »Auf starken Kaffee sind wir geradezu spezialisiert, Mrs. Evans. Wir verwenden nur Kona, den stärksten Kaffee der Welt. Er wird hier in Hawaii angebaut.«
»Habe ich noch Zeit genug, bevor der Doktor kommt?« »Sicher«, beruhigte das Mädchen Sofia. »Wenn Dr. Walton >zehn Minuten< sagt, meint er meistens eine halbe Stunde. Ein Bademantel und Handtücher liegen für Sie bereit.«
Als der Arzt an die Tür klopfte, war Sofia schon bei der dritten Tasse Kaffee. Die Schwester öffnete. »Sie können jetzt eine Pause machen, Jane«, sagte der Arzt noch auf dem Flur. »Ich rufe Sie, wenn ich mit Mrs. Evans fertig bin.« Die Stimme kam Sofia bekannt vor.
Der Arzt trat ein und schloß die Tür hinter sich. »Nun, Mrs. Evans, haben Sie gut geschlafen?« fragte er mit einem schie fen Lächeln.
»Dr. Walton?« fragte Sofia. »Gestern abend hießen Sie Brad.«
»Ich bin Dr. Walton«, lächelte der Mann. »Ich verstehe nicht ganz, was das soll.« Sofia war verärgert.
»Zum Versteckspielen bin ich zu alt. Wie kommen Sie dazu, mich gegen meinen Willen hierher zu verschleppen?« »Wir waren der Ansicht, daß Sie sicherer wären, wenn Sie nicht in der Gegend herumlaufen, sondern hübsch ruhig auf einer Tragbahre liegen. Als bewußtlose Patientin im Krankenwagen waren Sie fast so unsichtbar, als hätten Sie eine Tarnkappe getragen.«
»Aber es hat uns doch gar niemand belästigt.« »Das liegt an unserem gemeinsamen Freund«, erklärte er.
»Eine ganze Menge Agenten sind hinter ihm her, offenbar in der Hoffnung, daß er sie zu Ihnen führt.
Glücklicherweise ist er wohl zur Zeit nicht das Hauptangriffsziel, son dern Sie.« »Sind Sie eigentlich Arzt oder Agent?«
»So genau unterscheiden wir da nicht«, sagte er lächelnd. »Sa gen wir: Ich bin hauptberuflich Arzt und nebenberuflich Agent.«
»Aha. Und was haben Sie mit mir vor?« »Ich will es so einfach wie möglich erklären. Die amerikanische Regierung hat ein spezielles Programm entwickelt, um Personen verschwinden zu lassen, die aus irgendeinem Grunde besonders bedroht sind. Bei diesem Programm zur Identitätsveränderung arbeiten das Außen-, das Verteidigungsund das Justizministerium zusammen. Ich möchte Sie im Auftrag der amerikanischen Regierung als Teilnehmerin willkommen heißen, Mrs. Marissa Evans.« Sofia starrte ihn verblüfft an. »Und das hat unser gemeinsamer Freund arrangiert?« »Ja.«
»Und wie hat er das gemacht? Ich denke, das ist ein Regierungsprogramm.«
»Er hat viele Freunde«, lächelte Walton. »Die Regie-rung war der Ansicht, Sie seien eine äußerst geeignete Kandidatin.« »Dann sind Sie also ein Regierungsbeamter?« fragte Sofia. »Nein,
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