Die Moralisten
Opfer. Sie ist so unschuldig, sie kann sich doch gegen nichts wehren.«
Sofia atmete auf. »Es wird ihr sehr weh tun. Sie wird nicht verstehen, was vorgeht. Sie wird bestimmt weinen.« Judds Augen wurden tiefschwarz. »Ich würde noch viel mehr weinen, wenn ich schuld wäre an ihrem Tod.«
12
»Er sieht gut aus«, lächelte Barbara. »Für ihn steht die Zeit immer noch still. Ich weiß, er ist jetzt neunundvierzig, aber er sieht immer noch genauso aus wie mit vierzig.« Sofia wandte kein Auge vom Bildschirm.
»Körperlich ist er derselbe geblieben«, bestätigte sie. »Aber seelisch hat er sich ziemlich verändert.
Er scheint sich emotional zurückgezogen zu haben.« Der Präsident schüttelte Judd zum Abschied die Hand. Seite an Seite lächelten die beiden Männer in die Kamera. Als der Präsident zum Abschied winkte und durch die Türen des Weißen Hauses verschwand, ging Judd auf die wartenden Reporter und Kameraleute zu.
»Es handelte sich um einen ganz privaten Besuch«, erklärte er auf entsprechende Fragen der Journalisten.
»Wir haben nicht über geschäftliche Angelegenheiten gesprochen.« »Sie haben den Präsidenten also nicht gefragt, wie er über den bevorstehenden Verkauf der Crane Engineering and Construction Companies an die Japaner
denkt?« erkundigte sich einer der Reporter.
»Nein«, erwiderte Judd. »Der Präsident hat sich nicht dazu ge äußert. Solche Angelegenheiten werden stets von meiner Rechtsabteilung und den zuständigen Ministerien geklärt.« »Trifft es eigentlich zu«, fragte ein anderer Reporter, »daß Sie Ihr Wirtschaftsimperium auflösen, Mr. Crane? An der Börse ist man sehr besorgt über diese Verkäufe.« »Ich verstehe diese Unruhe nicht ganz«, sagte Judd. »Dieser Verkauf ist ein ganz normaler Vorgang. Eine Entscheidung, wie ich sie jeden Tag treffe. Und da mir sämtliche Firmenanteile gehören, betrifft dieser Vorgang die Börse oder irgendeinen anderen Teil der Finanzwelt nicht im geringsten.« »Aber diese Gesellschaften sollen zu den profitabelsten Unternehmen der Welt gehören«, wandte der Mann vom Wall Street Journal ein.
»Warum verkaufen Sie denn überhaupt, Mr.
Crane?«
Judd zögerte einen Augenblick. »Würde es Ihnen genügen, wenn ich Ihnen sage, daß mir die Verantwortung für diese vielen Unternehmen allmählich zuviel wird? Ich habe kaum noch Zeit für mein eigenes Leben, und meinen persönlichen Neigungen kann ich nur nachgehen, wenn ich mich aus den geschäftlichen Aktivitäten zurückziehe.« »Was haben Sie jetzt für Pläne?« fragte der Journalist. »Sehr viele«, erwiderte Judd. »Aber erst müssen diese geschäftlichen Dinge abgewickelt werden. Meine Plä ne nehme ich später in Angriff.«
»Haben Sie darüber mit dem Präsidenten gesprochen?« »Wie gesagt: Es war ein privater Besuch, nicht mehr und nicht weniger.« Judd unterbrach sich für einen Moment. »Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann, Gentlemen. Vielen Dank.« Er verließ die Reporter, die ihm vergeblich nacheilten, und verschwand in der wartenden Limousine. Langsam rollte der Wagen die Auffahrt hinunter.
Barbara stellte den Fernseher ab. »So, das war's. Er hat nichts verraten.«
»Er verrät niemandem etwas«, meinte Sofia lakonisch. »Auch Doc Sawyer und Merlin tappen im dunkeln.« Barbara zeigte auf die Tasche mit den Disketten und den Notizbüchern, die auf dem Tisch standen.
»War das alles, was du »ihm mitbringen solltest?« Sofia nickte.
Barbara warf ihr ein en prüfenden Blick zu. »Findest du nicht, du solltest ihm sagen, daß ihr einen Sohn habt?« Sofia schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe Angst. Niemand weiß, was in seinem Kopf vorgeht.
Vielleicht steht er kurz vor einer Psychose.«
»Vielleicht bewahrt ihn das Kind auch davor, daß er wahnsinnig wird«, wandte Barbara vorsichtig ein.
»Ich möchte lieber nichts riskieren«, sagte Sofia. »Oder bist du anderer Ansicht?«
Barbara seufzte. »Ach, das ist alles so traurig. Es ist so ein hübsches Kind. Er hat genau dieselben kobaltblauen Augen wie Judd.«
Sofias Augen verschleierten sich. »Ich wünschte, ich könnte mit dem Kleinen reden. Ich weiß, daß ich es lieber nicht tun sollte, sonst würde ich bestimmt nicht mehr von ihm fortwollen.« Sofia seufzte. »Vielleicht später einmal. Vielleicht ver steht mich Judd dann auch besser.« Barbara nickte. »Was hat Judd gesagt, wo ihr hinfliegt?« »Er hat es mir gar nicht gesagt«, erklärte Sofia. »Ich weiß nur, daß mich der Sicherheitsdienst zu ihm
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