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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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noch als Nachahmung, als Gehabe. Hast du denn nicht von dir selber verkündet, deines hohen Berufs nicht würdig zu sein? Warum dann uns anderen die Würdelosigkeit vorhalten? Schluß mit eurer Schreiberwürde. Wenn heute Schreiber, dann entschlossen würdelos. Ja, wir von heute sind endlich die Würde los. Der Heilige Geist hat nichts mehr mit dem, was wir tun, zu schaffen, und keine Sache mehr ist heilig, und kein Wort und keine Sache sind für uns tabu. Weg mit dem Traum vom Schreiber als Urheber. Hättest du doch beizeiten das Arrangieren gelernt. Es leben die schreibenden Arrangeure, wir, nur wir allein. Arrangement ist alles, merk dir das, Teuerster. Einzig meine Sprache, die Zeitungssprache, lebt. Allein sie trifft ins Schwarze, kommt auf den Punkt, ist unverschnarcht. Das Buch von deiner europäischen Rundreise: Ich werde es schreiben. Es ist zum Großteil schon geschrieben; war schon geschrieben, fertig, bevor du aus deiner Morawischen Nacht überhaupt aufgebrochen bist: ich brauche nur da und dort noch die Orts- und Personennamen einzusetzen; die Handlung, eine andere, als du sie mir gerade angedeutet hast, die anders dramatischen Situationen, die Charaktere, ja, ebensolche, und keine Traumstoffgestalten, und auch, wie sie, die Charaktere charakterisiert sind, die Psychen und auch, wie die psychologisiert sind, das Aktuelle, und auch wie das Aktuelle aktualisiert ist, die Höhepunkte und Überraschungsmomente, und auch wie diese vorbereitet sind, das stand von vornherein fest, auf jeder Schreiberschule ist es zu lernen. Ich bin ein von Geburt steinreicher Mann – mein Privatjet wartet hinter dem Hügel dort –, und die schönsten Frauen der Welt kraulen mir die Brust zwischen meinem bis zum Nabel geöffneten immerweißen Hemd. Doch scharf bin ich, zugegeben, allein auf die Literatur. Noch ist es mir, trotz meiner Bücher, trotz meiner Romane, trotz meiner Theaterstücke – die Verlage und Theater habe ich mir, wie denn sonst, gekauft –, nicht gelungen, daß die Literatur mein wird, einzig mein! Aber nun wird sie die meine werden, und kein reitender Bote eines Königs wird sie mir wieder entreißen! Und du, mein Teuerster: auf den Müllhaufen der Geschichte mit dir. Den letzten Rest deiner Ehre hast du ohnehin schon verloren, indem du auf dem Balkan lebst, und den Balkan liebst. Was vielleicht einmal das Besondere war an dir und deinesgleichen, das – höre, du Möchtegern! – Stiftende, das ist nur noch Abweichlertum. Nicht einmal eine Minderheit unter den Schreibenden und Veröffentlichenden seid ihr paar, die ihr auf dem Dichterischen besteht, als der umfassenden Information, als der, im Vergleich zu den übrigen, den herrschenden Publikationsformen – den technischen, juristischen, journalistischen –, angeblich der Natur, der Menschennatur und überhaupt, am nächsten kommenden Sprache, als der angeblich einzigen natürlichen und sachgerechten Ausdrucksweise für die Dinge der Seele. Irrläufer seid ihr, Desperados, auf verlorenem Boden. »Schreiberberuf, erhabener Beruf«: Welche Vermessenheit, und kein Wunder, daß du dich zuletzt an deinem Wappenspruch überhoben hast. Den edlen Seelen vorzufühlen, ist kein Beruf mehr, füllt kein Buch mehr, nicht einmal eine Seite. Edle Seelen, die gibt es wie eh und je, aber eher unter den Analphabeten als unter den Lesern, kaum unter den Buchlesern und noch weniger unter den Zeitungslesern, von den Schreibern, da wie dort, ganz zu schweigen. Woher ich das weiß? Daher, daß ich selber einmal eine edle Seele war. Und die dem entsprechenden Bücher waren mir das Höchste, waren mir Ein und Alles. Dann habe ich mitten auf dem Weg meine Seele verloren, frag mich nicht wie – wenn jemand hier fragt, dann bin ich es. Eine Wohltat war das, eine Erleichterung. Denn schwer war die Seele, so viel schwerer als die angeblich einundzwanzig Gramm, immer wieder eine Last. Eine Seele zu haben hieß Mitleiden, Zögern, Nichtweiterwissen, Sprachlossein, Stammeln, das erlösende Wort suchen und – wie bei mir seinerzeit der tagtägliche Fall – es nicht finden, nicht und abermals nicht. Die Seele loszusein: keine Probleme mehr. Vor allem keine Sprach- und Schreibprobleme. Arrangieren, das heißt: Die Sätze für gleichwelchen Sachverhalt ebenso für gleichwelche zu beschreibende Person, samt deren Psyche, stehen von vornherein zur Verfügung, vom ersten Satz an, der, nur kein Zögern mehr, kein Anfangs-, sondern, kurz und bündig, ein Fangsatz ist, bis zur ebensolchen

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