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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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Schlußpointe hin. Wenn jemand von der Seele anfängt, vom Wind, von der Liebe, vom Inbild, lache ich ihm nicht nur ins Gesicht, sondern mache ihn fertig. Ich glaube ihm nicht. Er lügt. Und indem ich ihm entschieden nicht glaube, meint er selber, er lügt. Klar? Klar. Auch ich weiß zwar, von früher: die poetische Sprache ist die natürliche, die gemäße. Aber nur, wenn ein Gefühl da ist. Und niemand mehr von den Schreibern hat ein Gefühl. Hat nicht schon einer deiner Ahnherrn gesagt, ein ganzes Jahr müßte er in sich suchen für ein wahres Gefühl? Und inzwischen gibt es nur noch das Vokabular für die Gefühle. Und das Vokabular für die Seele und entsprechend für die Gefühle gehört einzig uns Seelenlosen, uns, den schlußendlich und zuguterletzt erleichtert der Seele losen. Wir sind inzwischen die Alleininhaber der Worte und Sätze und füllen damit die Zeitungen gleichwie die Bücher. Wenn es einmal hieß, Dichten gleich Bildermalen, so heutzutage: Büchersprache gleich Journalsprache. Anders keine Wahrheit, anders keine Realität, anders keine Unverblümtheit. Poesie gleich Blumigkeit, gleich: statt ins Schwarze getroffen ins Blumige abgeirrt. Ich bin grundschlecht, ich weiß. Aber ich bin zugleich klar, und so lebe ich mein Schlechtsein als ein Vergnügen. Klar schlecht zu sein, gibt mir Macht. Und ich weiß, daß auch die anderen schlecht sind, genau wie ich, auch du. Aber ihr macht euch das nicht klar, und so habe ich Macht über euch, leichtes Spiel mit euch. Indem ich klar schlecht bin, bin ich für heute der Richtige. Ich bin das Monstrum, das jubiliert. Als ich dir auf deiner Reise gefolgt bin, für die Studien zum Roman über dich, wußte ich schon vorher, wie du wärst, was in welcher Blickrichtung ich sehen würde und was von dem Gesehenen wie zu beurteilen wäre. Und ebenso wußte ich schon im voraus, wie ich die Leute hier in deiner Herkunftsgegend im Buch vorkommen lassen würde. Zwar habe ich noch mit keinem gesprochen, aber in meiner Erzählung werden sie allesamt hinterwäldlerisch, verbauert, Dorftrottel, Trunkenbolde, ehemalige Sträflinge, Revisionisten, künftige Terroristen, ewig Gestrige, Antieuropäer, Perverslinge und so weiter sein. Ich werde zweifelsohne ein, zwei finden, die mir das bestätigen, einen vor Jahrzehnten vom Ausland Zugezogenen, ›der bis heute keinen Zutritt ins Dorfgasthaus hat‹, eine junge Frau, ›die, aus Angst vor einem Racheakt der Bevölkerung, ungenannt bleiben will‹: bewährte Methode aus meiner Zeitungsarbeit, die ich, wie es sich gehört für einen Autor, parallel zu meinem Romaneschreiben betreibe. Und sollte ich die ›zwei unverdächtigen Zeugen‹ nicht finden, so werde ich sie eben erfinden – wie heißt es doch?: ›Freiheit des Romanciers‹. Lange habe ich dich beneidet, mein Lieber, weniger für deine Bücher – obwohl die mir früher einmal, gestatten, aus der Seele gesprochen haben – als für dein Autorsein: Seinerzeit, zu deiner Zeit, galtest du als der richtige, und ich als der falsche. Aber jetzt, zu meiner Zeit, bist du bloß noch eine Romanfigur, und vielleicht nicht einmal die. Und trotzdem hasse ich dich, auch wenn mir das Internet verifiziert, daß du für die herrschende Literatur keine Gefahr darstellst. Du schreibst nicht mehr, oder du veröffentlichst nicht mehr, behältst deine Konvulsionen und Entzückungen, deine zitternden Sekunden – einst, merkst du, wieviel ich weiß von dir?, die Ausgangspunkte deiner Bücher – für dich, dem Teufel sei Dank. Ich hasse dich, weil du mir noch immer, und mehr denn je, im Weg stehst. Du störst meine Kreise, und zwingst mich, ohne Anfang und Ende in Kreisen zu rennen, welche weniger ein Vergnügen als vielmehr die Hölle sind. Ich werde dich in der Luft zerreißen, verlaß dich darauf, Verehrtester. Weder wirst du heimkehren in dein Dorf noch auf dein Schiff im vermaledeiten Balkan – dorthin schon gar nicht. Und was von deinen Büchern übrig ist, wird durch meine Macht heute noch in Rauch aufgehen, schneller als du schauen kannst, in der Rauchküche deines Vorfahrenhauses oder sonstwo. Geist wolltest du werden als Schreiber, und was bist du geworden? Gespenst! Wahr: deine Schreibersprache kam und zitterte aus der Sprachlosigkeit, einer primären. Ohne diese primäre Sprachlosigkeit, so deine Überzeugung, kein Schreiben. (Und dein Schreiben dann zwischen Schuld und Freude.) Aber Sprachlosigkeit heute? Als Grund des Schreibertums? Ein alter Hut, Schnee vom vergangenen Jahr,

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