Die Mordaugen von Brüssel
verschlucken.
Wer ihn ausgestoßen hatte, darüber konnten wir nur spekulieren und raten. Es war in diesen Momenten auch nicht wichtig. Für uns zählte allein die Reaktion der Hyänen.
Sie gehorchten dem Pfiff und jagten mit langen Sprüngen davon. Es überkam mich für einen Moment, ich hätte gern hinter ihnen hergeschossen, ließ die Waffe aber sinken und schaute zu, wie der dichte Wald die Bestien schluckte, wo sich bestimmt auch ihr Herr und Meister aufhielt.
Wir waren wieder allein — und lebten noch.
Bill und Maurice waren noch nicht eingestiegen. Sie standen an der Fahrerseite des Wagens und schauten zu, wie der letzte langgestreckte Schatten in der Dunkelheit des Waldes verschwand. Für uns war der Weg frei.
Reuven starrte mich an. »Ich… ich hätte doch nicht verschwinden sollen.«
»Es war Ihre Entscheidung.«
»Ja, ich lag falsch. Und danke für meine Rettung.«
Ich winkte ab. »Es war kein großes Problem. Sie haben Glück gehabt. Die Hyäne hat mit dem Biß zu lange gezögert. Das ist zumindest ungewöhnlich. Normalerweise wären wir nämlich zu spät gekommen.«
»Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Sie glauben gar nicht, was ich für eine Angst hatte und durchmachen mußte. Aber das will ich jetzt vergessen. Ich habe auch darüber nachgedacht, weshalb die Hyäne nicht zugebissen hat.«
»Kennen Sie den Grund?«
»Lachen Sie mich jetzt aus?« Reuven schaute erst mich, dann Bill an.
»Weshalb sollten wir?« fragte der Reporter.
»Weil meine Erklärung so ungewöhnlich klingt. Wissen Sie, das ist ganz komisch. Als ich in das Gesicht dieser Bestie schaute, da sah ich noch ein anderes.«
»Das eines Mönchs.«
Reuven nickte bedächtig und überlegte. »Ja, auch«, gab er zu, »aber noch ein Gesicht. Es war bestimmt Einbildung. Nur habe ich aus diesem zweiten, das sich mit dem ersten vermischte, die Züge meiner Tochter Ruth erkannt.« Jetzt war es heraus, und er senkte den Kopf, wobei er stumm auf seine Schuhspitzen starrte.
Bill und ich warfen uns Blicke zu. Zwei Gesichter hatte er gesehen? Das war fast unwahrscheinlich, kaum zu glauben. Seine Nerven konnten ihm einen Streich gespielt haben. Möglicherweise aber auch nicht, denn durch Schwarze Magie wurde vieles realisiert was eigentlich rational nicht zu erklären war.
»Nehmen wir einmal an, es stimmt«, sagte ich. »Weshalb haben Sie das Gesicht Ihrer Tochter Ruth gesehen? Gibt es dafür eine Erklärung?«
»Nein.«
»Hängen Sie sehr an Ihrer Tochter?«
»Ja, wir leben zusammen. Sie arbeitet bei einer Zeitung. Von meiner Frau bin ich geschieden. Ruth blieb bei mir. Es gab auch keinerlei Probleme mit meiner Ehemaligen. Sie war froh, sich damals um das Kind nicht kümmern zu müssen.«
»Dann war die Beziehung ziemlich eng.«
Er nickte.
»Vielleicht hast du«, sagte Bill, »in diesen schrecklichen Augenblicken an deine Tochter gedacht.«
»Daran müßte ich mich doch erinnern können.«
»Nicht unbedingt. Bei dem Streß, den du erlebt hast.«
Reuven wollte der Theorie nicht so recht folgen. »Ich habe schon an eine andere Möglichkeit gedacht, an die ich aber kaum zu denken wage.«
Ich wußte, was er meinte und sprach es aus. »Sie rechnen damit, daß Ihre Tochter auf der anderen Seite steht.«
Maurice verschlang die Finger, drehte sich zur Seite ab und nickte einige Male.
»John, mach die Leute nicht verrückt.«
»Bestimmt nicht, Bill, aber es läge im Bereich des Möglichen!« Ich wandte mich wieder an den Belgier. »Monsieur Reuven, wo befindet sich Ihre Tochter jetzt? Hat sie noch Dienst?«
»Nein, sie müßte freihaben, weil sie die Nacht durchgearbeitet hat. Sie ist bestimmt zu Hause.«
»Dann fahren wir am besten hin«, saete ich.
»Ich will nicht ans Steuer. In meinem Zustand…«
»Das mache ich«, sagte Bill, öffnete schon die Tür und schob Maurice in den Wagen.
Mir warf der Reporter beim Hinsteigen einen sehr nachdenklichen Blick zu.
Nachdenklich und auch besorgt…
***
Ich hatte nicht damit gerechnet, daß die Reuvens so nett wohnten. Die Anlage gefiel mir auf Anhieb, und auch die Parkplätze hinter und neben den Häusern waren nicht nur glatte Betonflächen, sondern farbig gepflasterte Inseln, die von frischen Heckenblumen und einem manchmal dichten Buschgürtel umschlossen wurden.
»Sie wohnen sehr nett, Maurice«, lobte ich.
»Dafür auch teuer.« Er hatte seine Nervosität noch immer nicht ablegen können. Bill verschloß den Wagen, Reuven schaute an der Hausfront hoch, als könnte er
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