Die Morde des Herrn ABC
‹Ich-schwöre-bei-Gott›-Pose beeindrucken lassen. Meiner Ansicht nach weiß Cust ganz genau, dass er die Morde begangen hat. Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen», fuhr Thompson fort, «so ist es absolut möglich, dass ein Epileptiker in einem Zustand von nachtwandlerischer Benommenheit eine Tat verübt, von der er nachher nichts mehr weiß. Aber die Briefe zeigen in diesem Fall, dass Vorbedacht und sorgfältige Planung vorliegen.»
«Und wer diese Briefe geschrieben hat, wissen wir noch immer nicht», sagte Poirot.
«Interessieren Sie sich so sehr dafür?»
«Selbstverständlich! Sie waren schließlich an mich gerichtet! Und gerade im Hinblick auf diese Briefe bleibt Cust beharrlich bei seinem Leugnen. Solange die Herkunft dieser Briefe nicht zwingend und eindeutig geklärt ist, wird der Fall für mich nicht abgeschlossen sein.»
«Ja – diesen Standpunkt kann ich verstehen. Es liegt auch kein Grund vor, weshalb man annehmen sollte, dass Ihnen dieser Mann irgendwann mal im Leben begegnet ist.»
«Genauso denke ich auch.»
«Nun, dafür könnte es eine Erklärung geben. Ihr Name!»
«Mein Name?»
«Ja. Cust ist durch zwei reichlich bombastische Taufnamen belastet – Alexander und Bonaparte. Merken Sie was? Alexander, der unbesiegbare Held, der nach immer neuen Welten lechzte, die er hätte erobern können – und Bonaparte, der große Franzosenkaiser. Nun sucht er nach einem Gegner, nach einem ebenbürtigen Gegner natürlich, und da tauchen Sie auf – Herkules, der Starke.»
«Das alles ist einleuchtend, Doktor, und Ihre Gedanken schreien förmlich nach Weiterungen…»
«Ach, sie sind eine Anregung, sonst nichts. Ja, und jetzt muss ich gehen.»
Dr. Thompson ging. Japp blieb zurück.
«Bedrückt Sie das Alibi ?» fragte Poirot.
«Ja, ein wenig schon», gestand der Inspektor. «Wohlgemerkt: Ich glaube nicht daran, weil es einfach nicht wahr sein kann. Aber es wird verteufelt schwer sein, es zu widerlegen. Dieser Strange ist ein hartnäckiger Kerl.»
«Beschreiben Sie ihn mir.»
«Vierzig Jahre alt. Stark, unbeugsam und selbstsicher – ein Mineningenieur. Ich vermute, dass er selber darauf bestanden hat, seine Aussage jetzt zu machen. Er möchte nach Chile abreisen und wollte die Sache noch vorher erledigt wissen.»
«Ich habe selten einen Menschen gesehen, der seiner Sache so sicher war wie er», sagte ich.
«Also jemand, der nicht leicht zugeben würde, dass er sich geirrt haben könnte», folgerte Poirot nachdenklich.
«Er hält stur an seiner Erzählung fest und ist durch nichts zu erschüttern. Er schwört bei seinem Augenlicht, dass er Cust am Abend des 24. Juli im ‹Whitecross› in Eastbourne getroffen hat. Er fühlte sich einsam und suchte nach einem Gesprächspartner. Cust gab anscheinend einen idealen Zuhörer ab, der sein Gegenüber nie unterbrach! Nach dem Abendessen spielten die beiden Domino. Strange behauptet von sich, ein hervorragender Dominospieler zu sein; aber zu seiner großen Verwunderung sei Cust ihm sozusagen ebenbürtig gewesen. Ein komisches Spiel – Domino. Die Leute können wie besessen davon sein. Stundenlang sieht man sie ganz versunken dasitzen. Und genau das haben Strange und Cust auch getan. Cust soll wiederholt verlangt haben, endlich schlafen zu gehen, aber Strange überhörte diesen Wunsch – bis mindestens um Mitternacht, das ist er bereit zu beschwören. Um zehn nach zwölf trennten sie sich dann. Und wenn also Cust um zehn Minuten nach Mitternacht im Hotel in Eastbourne war, dann kann er nicht gut Betty Barnard am Strand von Bexhill zwischen zwölf und ein Uhr erwürgt haben.»
«Das scheint tatsächlich ein unüberwindbares Problem darzustellen», sagte Poirot. «Wirklich, das gibt einem zu denken.»
«Crome jedenfalls verursacht es gehörige Kopfschmerzen», grinste Japp.
«Und dieser Strange ist also seiner Sache ganz sicher?»
«Unumstößlich sicher. Ein starrsinniger Teufel! Und es ist vorläufig nicht zu sehen, wo der Haken sitzen könnte. Angenommen, Strange irrt sich und der Mann ist nicht Cust gewesen – warum, um alles in der Welt, sollte er dann angegeben haben, Cust zu heißen? Und die Handschrift im Gästebuch ist die seinige. Man kann auch nicht voraussetzen, dass er sein Komplize gewesen ist – mordbesessene Wahnsinnige haben keine Komplizen! Starb das Mädchen vielleicht später? Der Arzt machte doch höchst präzise Angaben. Und dann hätte Cust immerhin einige Zeit gebraucht, um ungesehen aus dem Hotel zu entwischen und
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