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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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zum silbern glänzenden Meer hinaus. Es würde
vielleicht gar keinen Krieg geben, aber wenn doch, würde keiner dieser
verwöhnten, lebenslustigen Jungen dem Gemetzel entgehen.
    «Ich weiß, was wir trinken, Tante
Frances», sagte er und faßte sie bei den Händen. «Den Veuve Clicquot 29. Ich habe
zwei Kisten davon, die ich extra für einen besonderen Anlaß aufgehoben habe.»
    Frances sah ihn erstaunt an. Sie war
keine Weinkennerin, aber sie wußte, wie hoch Quin seinen exzellenten Champagner
schätzte. «Ist das dein Ernst?»
    «Aber ja. Es soll ein denkwürdiger
Abend werden.»
    Frances war glücklich, als sie sich
an diesem Abend zu Bett legte. Was sonst konnte diese großzügige Geste
bedeuten, als daß er Verena besonders ehren wollte? Aber am nächsten Morgen kam
die Bemerkung, die sie gefürchtet hatte.
    «Wenn wir hier ein Fest mit lauter
jungen Leuten veranstalten, müssen wir die Studenten dazubitten.»
    Entsetzlich! Jüdische Kellnerinnen
und junge Mädchen, die auf den Rücksitzen von Automobilen Unaussprechliches
trieben, zusammen mit den wohlerzogenen Kindern ihrer Freunde!
    «Aber die kommen doch am Sonntag zum
Mittagessen. Reicht das nicht?»
    Quin blieb hart. «Ich kann mit
Verena nicht dauernd Ausnahmen machen, das mußt du doch einsehen, Tante
Frances.»
    Zu Frances' grenzenloser
Überraschung war Verena ganz Quins Meinung und erbot sich, die Studenten
persönlich einzuladen.
    Und das tat sie auch. Als sie im
Bootshaus eintraf, saßen die anderen noch beim Frühstück. «Ich wollte euch nur
sagen», verkündete sie, «daß an meinem Geburtstag oben im Haus ein Fest stattfindet.
Ihr seid natürlich alle eingeladen, wenn es euch nichts ausmacht, nicht in der
angemessenen Kleidung erscheinen zu können.»
    Als Quin kam, um mit der Arbeit
anzufangen, konnte sie ihm wahrheitsgemäß mitteilen, daß die Studenten alle
ohne Ausnahme die herzliche Einladung ausgeschlagen hatten.

19
    «Aber warum denn nicht? Warum willst du nicht mitkommen?
Alle sind eingeladen – die Studenten essen am Sonntag immer oben in Bowmont zu
Mittag. Das ist Tradition.»
    «Die Tradition wird auch ohne mich
weiterbestehen. Ich warte auf eine Nachricht von Heini und ...»
    «Doch nicht am Sonntag! Am Sonntag
ist die Post geschlossen.»
    Die anderen Studenten stimmten ein,
selbst Elke Sonderstrom – aber Ruth war nicht dazu zu bewegen. Sie habe keine
Lust auf ein großes Mittagessen; sie wolle einen Spaziergang machen; sie
glaube, das Wetter werde bald umschlagen.
    «Dann leiste ich dir Gesellschaft»,
erklärte Pilly, aber davon wollte Ruth nun überhaupt nichts wissen, und es fiel
ihr auch gar nicht schwer, Pilly abzuwimmeln, die die Vorstellung, zur
Abwechslung einmal wieder auf einem gepolsterten Stuhl zu sitzen und ein
ordentlich gekochtes Essen zu sich zu nehmen, sehr verlockend fand.
    Es war sehr still, als sie alle
gegangen waren. Eine Weile wanderte Ruth am Wasser entlang und beobachtete die
Robben draußen in der Bucht. Dann wandte sie sich unvermittelt landeinwärts,
schlug aber nicht den steilen Felsweg ein, der zur Terrasse hinaufführte, sondern
das schmale, von Hecken gesäumte Sträßchen, das sich zwischen Hasel- und
Erlenhainen hindurchschlängelte und sich schließlich mit der Auffahrt hinter
dem Haus vereinigte.
    Sie atmete den würzigen Duft der
feuchten Erde, die hier das Wasser verdrängt hatte, während sie vom Wind
geschützt zwischen den Hecken vorwärtsging, die von wilder Klematis durchwoben
waren. Hagebutten und Vogelbeeren leuchteten im dunklen Laub; die schwarzblauen
Früchte von Schlehen hingen von den Zweigen herab.
    Nach einer Weile machte das
Sträßchen einen Bogen und führte nun zwischen offenen Weiden hindurch, auf
denen Schafe grasten, die wie frisch gewaschen aussahen. Ruth beugte sich über
den Zaun und sprach mit ihnen, aber diese Tiere waren keine schwermütigen
Gefangenen dunkler Keller, sondern freie Geister, die nur kurz aufblickten, ehe
sie gemächlich weiterkauten.
    Sie war jetzt in der Nähe des Hauses
hinter einem Lärchenwäldchen. Sie konnte in die Auffahrt einbiegen und von
dort in den Park auf der dem Land zugewandten Seite gelangen; oder sie konnte
den Weg über den Graben nehmen. Sie entschied sich für das letztere und kam zu
einer mit Flechten überzogenen Mauer, an der ein Kiesweg entlangführte. Ein
Stück weiter in der Mauer war eine verblichene blaue Tür, von Kletterrosen umrankt.
Einen Moment lang zögerte Ruth – aber es war kein
Mensch in der Nähe, kein Laut

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