Die Morgengabe
berührte sie dies und jenes, den schäbigen schwarzen Ledersessel, die Platte eines
vielbenützten, vielpolierten Tischs, während er sie, die Hand leicht auf ihrem
Rücken, durch die Räume führte. Was sie sah, gefiel ihr. Im Inneren der Festung
war ein schlichtes Heim ganz ohne Prätentionen, in dem alles den Stempel jener
Frau trug, die seit Jahren die Hüterin des Hauses war. Frances Somerville, die
Quin in Ruhe gelassen hatte, hatte auch dieses Haus in Ruhe gelassen.
In der Bibliothek blieb Quin stehen,
und Ruth, in Frances' voluminösem Flanellnachthemd, Quins Jackett lose um die
Schultern, sah vor sich in schwerem goldenen Rahmen das Bildnis des
Konteradmirals Quinton Henry Somerville.
Der Basher war siebzig Jahre alt
gewesen, als das Porträt in Auftrag gegeben worden war, und der Maler, ein
verdienstvoller Einheimischer, hatte sich offensichtlich alle Mühe gegeben,
seinem Modell zu schmeicheln, doch der Erfolg war bescheiden geblieben. In den
roten Wangen des Basher sah man die infolge von Wetter und Whisky geplatzten
Äderchen; seine kurze, stark aufgeworfene Nase hatte an der Spitze einen bläulichen
Schimmer. Trotz der prächtigen Uniform, trotz des bulligen Nackens, der aus dem
goldbetreßten Kragen emporstieg, ähnelte Quins Großvater mit seinem schmalen
Mund, dem kahlen Kopf und den eigensinnigen blauen Augen vor allem einem
schlechtgelaunten Säugling.
«Und trotzdem», sagte Ruth, «da ist
irgend etwas ...»
«Oh ja, da ist eine ganze Menge.
Sturheit, Gewalt ... in der Marine hat er seine Offiziere tyrannisiert, und den
einfachen Matrosen, meinte er, könnten Hiebe nur guttun. Er hat des Geldes
wegen geheiratet – es war eine Menge Geld – und hat seine Frau abscheulich
behandelt. Und als er starb, hat sich ganz Northumberland zu seiner Beerdigung
eingefunden, und alle schüttelten sie die Köpfe und sagten, die guten Zeiten
seien vorbei und England würde nie wieder das werden, was es einmal gewesen
war.»
«Ja, das kann ich mir vorstellen.»
«Er hat meinen Vater verachtet, weil
der Gedichte liebte – weil er gern mit seiner Mutter im Garten war. Er hatte
eine Todesangst, er könnte einen Feigling großgezogen
haben. Das war das einzige, was ihm je Angst gemacht hat – daß sein Sohn ein
Schwächling sein könnte. Mein Vater war
todunglücklich auf dem Internat – er kam hin, als er sieben war, und weinte
sich jahrelang jeden Abend in den Schlaf. Er haßte das Meer und er haßte das
Segeln. Er war ein sanfter Mensch, und der Basher verachtete ihn dafür aus
tiefstem Herzen. Er wollte meinen Vater zwingen, zur Marine zu gehen, aber mein
Vater weigerte sich. Und er gab auch nicht klein bei. Als er fünfzehn war, lief
er von zu Hause weg. Zu einer Verwandten seiner Mutter. Sie nahm ihn mit ins
Ausland, und er trat in den diplomatischen Dienst ein. Er machte eine
anständige Karriere, aber nach Bowmont ist er nie zurückgekehrt. Er
verabscheute alles, wofür es stand – Macht, Privilegien, Philistertum,
Geringschätzung all der Dinge, die er hochschätzte. Und dennoch hat er am Ende
das Leben meiner Mutter aufs Spiel gesetzt, damit eben das alles weiterbestehen
konnte.»
Ruth sagte nichts. Sie betrachtete
das Porträt und fragte sich, wieso dieser grimmige Engländer eine Nase wie
Beethoven hatte, wunderte sich, daß ihr dieses harte alte Gesicht nicht unsympathisch
war.
«Aber Sie haben ihn gemocht?»
«Nein.» Quin zögerte. «Ich war acht,
als ich nach Bowmont kam. Ich hatte nur Schlimmes von ihm gehört, und er
entsprach allem, was ich gehört hatte. Er verfrachtete mich in den Turm, packte
mich unter das Eisbärenfell und fertig. Ich war vollkommen allein dort oben,
ein Kind von acht Jahren, dessen Vater gerade im Krieg gefallen war. Ich hatte
Angst im Dunklen, jeder Abend, wenn ich zu Bett mußte, war die Hölle. Es gefiel
mir im Turm, aber ich wollte ein Nachtlicht – ich bettelte darum, aber er sagte
nein. Draußen, im Freien, hatte ich vor nichts Angst; ich kletterte, ich
segelte, ich liebte das Meer genau wie er. Er sah das auch, aber er war stur.
Eines Tages sagte ich: < Wenn ich ganz allein bis Harcar Rock und wieder
zurück segle, kann ich dann ein Nachtlicht haben? > Er sagte: < Wenn du
allein nach Harcar Rock segelst, vertrimm ich dich, daß dir Hören und Sehen
vergeht. > So hat er immer geredet, wie in einem Abenteuerroman für Jungen.»
«Harcar? Das ist doch die Stelle, wo
die Forfarshire gesunken ist? Wohin Grace Darling gerudert ist?»
«Ja. Jedenfalls – ich
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