Die Morgengabe
hinzu:
«Ich könnte ja Lebkuchen backen ... mit Zuckerguß und roten Bändern.»
«Georg hat eine große Fichte in
seinem Garten», bemerkte Mrs. Weiss. «Ich kann in der Nacht, wenn Moira
schläft, ein paar Zweige davon abschneiden.»
«Meine Frau hat ihr kleines
Glockenspiel mitgenommen», sagte der Bankier unerwartet. «Ich hielt das für
blödsinnig, aber sie hat es schon seit ihrer Kindheit.»
Wieder in der Küche, sahen Miss Maud
und Miss Violet einander an.
«Na ja, so schlimm wäre es
wahrscheinlich gar nicht», sagte Miss Maud, «aber ich möchte nicht den ganzen
Boden voller Tannennadeln haben.»
«Auf jeden Fall ist es besser als
dieses Channukka. Ich meine, da werden sie nicht weit kommen, wenn sie sich
nicht mal erinnern können, wie es gefeiert wird», meinte Miss Violet.
Mrs. Burtt wand ihren Spüllappen aus
und hängte ihn am Spülbecken auf, über dem Ruth mit Reißzwecken ein Diagramm
befestigt hatte, das den «Lebenszyklus des Pololo-Wurms» zeigte.
«Und es wird Ruth bestimmt
aufmuntern, wenn hier alles so hübsch aussieht», bemerkte sie.
Miss Maud runzelte die Stirn. Sie
konnte nicht ganz verstehen, wieso ihre Kellnerin Aufmunterung brauchen sollte.
«Sie ist doch sehr glücklich, seit Heini da ist.»
«Ja, aber müde», entgegnete Mrs.
Burtt.
Drei Tage nachdem Leonie ihre Idee mit dem Lichtfest wieder
ad acta gelegt hatte, ging Ruth auf dem Weg zur Universität auf der Post vorbei
und entnahm ihrem Schließfach ein Päckchen mit rotem Siegel, das sie mit
klopfendem Herzen öffnete. Minuten später stand sie mitten im Getümmel eilender
Menschen und blickte wie gebannt auf den dunkelblauen Reisepaß mit dem goldenen
Löwen, dem sich aufbäumenden Einhorn und dem Motto Dieu et Mon Droit in
ihrer Hand.
«Ich bin britische Staatsbürgerin»,
sagte sie laut und sah im Geist, wie der Außenminister in Cut und Zylinder ihr
einen Schlagbaum nach dem anderen öffnete.
Wenn sie es doch nur allen hätte
zeigen können: die Einbürgerungsurkunde, die ihren neuen Status bestätigte;
den Reisepaß, der auf sie allein ausgestellt war. Ach, hätte sie doch jetzt,
den Reisepaß schwenkend, ins Willow marschieren können, um ihre Eltern
zu umarmen und mit Mrs. Burtt einen Freudentanz aufzuführen.
Aber sie konnte die Papiere
natürlich niemandem zeigen. Sie waren auf Ruth Somerville ausgestellt, nicht
auf Ruth Berger, und darum würden Reisepaß und Einbürgerungsurkunde dort verschwinden
müssen, wo schon die anderen Papiere lagen, in dem geheimen Versteck, in dem
sich die nicht totzukriegenden Mäuse tummelten.
Sie war sehr früh auf dem Weg zur
Universität. Seit Heini da war, stellte Ruth den Wecker unter ihrem Kopfkissen
immer auf halb sechs, damit sie zwei Stunden arbeiten konnte, solange es noch
ruhig war. Als sie jetzt in der Untergrundbahn saß, überkam sie der Wunsch,
diesen Tag irgendwie zu feiern, und impulsiv stieg sie an der nächsten
Haltestelle aus und eilte die Stufen zur National Gallery hinauf, um auf den
Trafalgar Square hinunterzublicken.
Sie hatte recht getan, dies war das
Herz ihrer neuen Heimatstadt. Die Brunnen glitzerten, die Löwen lächelten ...
Durch den Admiralty Arch auf der anderen Seite konnte sie die Mall sehen, die
zum Buckingham-Palast führte, wo der schüchterne König lebte und die Königin
mit der sanften Stimme sich um die Prinzessinnen auf ihrer Keksdose kümmerte.
Sie neigte den Kopf nach hinten, um
zu Nelson hoch oben auf seiner Säule hinaufzuschauen, zu diesem kleinen Mann,
dem Lieblingshelden der Engländer. Er war ungeheuer tapfer gewesen ... Aber
die Briten waren alle tapfer. Ihre jungen Mädchen schlugen einander mit
Hockeystöcken grün und blau und weinten keine Träne; ihre Frauen waren in
früheren Zeiten in wollenen Röcken durch die Urwälder marschiert, um die Heiden
zum Wort Gottes zu bekehren.
Auch sie würde stark und tapfer
sein. Sie würde die Prüfungen zu Weihnachten bestehen und abends wach
bleiben, damit Heini reden konnte, wenn er das brauchte. Es war lächerlich zu
glauben, daß ein Mensch mehr brauchte als vier Stunden Schlaf. Sie konnte alles
schaffen, wenn sie nur wollte. «Der Wille muß nur geboren werden, damit er triumphieren
kann.» Das hatte Ruth in einem Kalender gelesen und war sehr beeindruckt
gewesen. Daran wollte sie sich halten.
Erst jetzt wandte sie sich dem
Schreiben zu, das Mr. Proudfoot dem Paß beigelegt hatte, und sah, daß er sie am
folgenden Nachmittag in seiner Kanzlei erwartete.
Proudfoot hatte es
Weitere Kostenlose Bücher