Die Morgengabe
sowieso gegraut.
Heini verabschiedete sich von den
handgenähten Handschuhen und machte sich, seinen Träumen nachhängend, auf den
Weg zu Dr. Friedlanders Praxis in der Harley Street.
«Sie hat es geschafft», sagte Roger Felton mit Genugtuung
und schob den Stapel Prüfungsarbeiten weg, an denen er gearbeitet hatte. Ruth
hatte Verena Plackett sowohl in Meereszoologie als auch in Parasitologie
geschlagen. Jeweils um mehrere Punkte.
«Und das ist wirklich eine Leistung,
wenn man bedenkt, was sie in letzter Zeit alles um die Ohren hatte», meinte
Elke Sonderstrom, die ihre Kollegen zur Feier des Semesterendes auf ein Glas
Sherry in ihr Zimmer eingeladen hatte.
Sie hatten sich alle um Ruth
gesorgt, die man mehrmals tief schlafend an unerwarteten Orten gefunden hatte,
und die einmal nach einer langen nächtlichen Diskussion über den Fingersatz von
Beethovens Hammerklavier-Sonate an der Endstation der Untergrundbahn gelandet
war.
«Und meine Frau hat beschlossen, ein
Kind zu adoptieren», rief Roger Felton, schon in Ferienstimmung. «Alle
Thermometer werden hinausgeworfen.»
Die Prüfungsergebnisse wurden, als
sie endlich am Anschlagbrett hingen, allgemein mit Befriedigung aufgenommen.
Verena hatte in den beiden anderen theoretischen Prüfungen die besten Arbeiten
geschrieben und war schon deshalb zufrieden, weil die eine davon die
Paläontologiearbeit war. Sam hatte unerwartet gut abgeschnitten, und sowohl Huw
als auch Janet waren gut durchgekommen.
Das Erstaunlichste jedoch waren
Pillys Resultate. Sie war lediglich im Physiologiepraktikum durchgefallen; da
war sie ohnmächtig geworden, als sie versuchte, sich in den Finger zu stechen,
um sich selbst eine Blutprobe abzunehmen. Sonst aber hatte sie alle
Zwischenprüfungen bestanden und war nun zum Abschlußexamen zugelassen.
«Und das hab ich alles dir zu
verdanken, Ruth», rief sie und schloß ihre Freundin in die Arme.
Kein Wunder, daß es bei der Feier am
letzten Tag des Semesters sehr vergnügt zuging. Heini kam auch, und selbst jene
von Ruths Freunden, die seine Ansprüche kritisiert hatten, waren bezaubert von
seinem ungarischen Akzent und seinem wehmütigen Lächeln. Seit dem
Zusammentreffen mit Mantella war Heini höchst zuversichtlicher Stimmung, und
als Sam mit einem Stapel Noten ankam und ihn bat, etwas zu spielen, war er dazu
bereit, ohne sich zu zieren.
Quin war am selben Abend zu einem
kleinen Umtrunk beim Vizekanzler eingeladen. Als er bewußt mit Verspätung
eintraf, blieb er einen Moment vor den
erleuchteten Fenstern der Studentenhalle stehen. Heini war am Klavier, Ruth
saß neben ihm. Sie trug das Samtkleid, das sie im Orientexpreß angehabt hatte,
und hielt den Kopf gesenkt, völlig konzentriert den Noten folgend. Dann stand
sie auf, ein Arm bog sich über den Kopf des Jungen ... mit einer einzigen
flinken und anmutigen Bewegung blätterte sie um.
«Man muß wie eine Welle sein, wenn
man umblättert», hatte sie ihm im Zug erklärt. «Man muß ganz anonym sein.»
Quin ging über den dunklen Hof, und
es schien ihm, daß er nie eine Geste gesehen hatte, die solche Hingabe, solche
Liebe ausgedrückt hatte.
Am Heiligen Abend gab es im Willow tatsächlich
einen Christbaum. Man hatte die Tische nahe zur Wand geschoben, und in der
Mitte stand der Baum in seinem festlichen Glanz. Er war nicht etwa
klammheimlich bei Nacht und Nebel aus dem Garten von Mrs. Weiss' Sohn Georg
gestohlen worden, während ihre Schwiegertochter schlief, obwohl die alte Dame
durchaus bereit gewesen war, eine solche Schandtat zu versuchen. Er war in
einem Laden gekauft worden, aber dennoch im Grunde Mrs. Weiss zu verdanken.
Eine Woche vor Weihnachten hatte die geplagte Schwiegertochter Moira heimlich
Leonie aufgesucht und mit ihr eine Vereinbarung getroffen: einen großzügigen
Geldbetrag, den Moira ohne Not entbehren konnte, wenn Leonie dafür garantierte,
daß die Schwiegermutter den Heiligen Abend außer Haus verbringen würde.
«Ich habe ein paar Leute eingeladen
– Mandanten meines Mannes; wichtige Leute. Sie verstehen, nicht wahr?»
Im ersten Moment war Leonie geneigt
gewesen, nein zu sagen, doch bei näherer Überlegung fand sie das Geschäft
durchaus fair. Sie nahm also das Geld und ging mit der alten Dame einen Baum
kaufen, das Lametta, die Kerzen, die Zutaten für die Lebkuchen ...
Jetzt wurde es still im Willow, als
Miss Maud, die man mittlerweile in die Mysterien einer österreichischen
Weihnacht eingeweiht hatte, Ruth die Streichhölzer
Weitere Kostenlose Bücher