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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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klappte er den Klavierdeckel zu
und stand auf. «Ruth», sagte er leise, «ich finde dein Geschenk wunderschön,
aber es gibt nur ein Geschenk, das ich wirklich haben möchte und brauche – so
dringend brauche, wie die Luft zum Atmen.»
    «Was ist das?» fragte Ruth, und ihr
Herz schlug so laut, daß sie meinte, er müßte es hören.
    «Dich!» sagte Heini. «Sonst nichts.
Nur dich. Und bald, Liebste. Bald, nicht wahr?»
    Ruth, noch immer im Zauber der Musik
gefangen, trat in seine ausgebreiteten Arme und sagte: «Ja. Das möchte ich
auch. Ich wünsche es mir so sehr.»
    Quin verlebte einen ganz anderen Heiligen Abend. Er war
seit Tagesanbruch gewandert und stand jetzt auf der Höhe der Cheviot Hills. Das
dürre hellbraune Gras auf den Hängen unter ihm neigte sich im pfeifenden Wind,
und draußen, über dem Meer, ballten sich dunkle Sturmwolken zusammen. Morgen
würde er seine Pflicht als Gutsherr tun und in der Dorfkirche den Bibeltext
verlesen und danach seine Tante zur alljährlich stattfindenden Weihnachtsfeier
bei den Rothleys begleiten – den heutigen Tag jedoch hatte er für sich in
Anspruch genommen.
    Aber als er sich dem Problem
zuwandte, das ihn hier heraufgetrieben hatte, stellte er fest, daß es nichts
zu entscheiden gab. Die Entscheidung war von selbst gefallen, der Himmel mochte
wissen, wann. Statt abstrakter Gedanken kamen Bilder: ein Dampfschiff nach
Daressalam ... das Flußschiff nach Lindi ... einige Tage beim Commissioner, um
Träger anzuheuern. Und dann der lange Marsch über die weiten Ebenen auf der
anderen Seite der Schlucht. Er hatte von dieser Expedition schon geträumt, als
er vor Jahren in Tanganjika gearbeitet hatte – und wenn Farquarson die
Wahrheit sprach, wenn es in der Kulamali-Schlucht tatsächlich einen Sandsteinausläufer
gab, in den Fossilien eingebettet waren ...
    So wie er die Landschaft vor sich
sah, so sah er die Menschen vor sich, die er mitnehmen würde. Milner natürlich,
Jacobson von der geologischen Abteilung des Museums ... Alec Younger, eben erst
aus Ostindien zurückgekehrt und schon voller Ungeduld, erneut aufzubrechen ... Colonel
Hillborough, der von der Verwaltungsarbeit genug hatte und der Expedition die
zusätzliche Unterstützung der Geographischen Gesellschaft sichern würde ...
und noch einen weiteren Mitarbeiter, einen jungen Menschen, dem er eine Chance
geben wollte. Vielleicht einer seiner Studenten aus dem dritten Jahr. Es kam
natürlich auf die Prüfungsergebnisse an, aber Sam Marsh war eine Möglichkeit.
    Afrika war seine erste Liebe
gewesen, und wenn dies seine letzte Expedition werden sollte, so würde sie
einen würdigen Abschluß seiner Reisen bilden. Der Vorteil einer Expedition nach
Kulamali war zudem, daß das Gebiet unter britischer Herrschaft stand und man
von dort aus durch andere Protektorate zum Meer zurückgelangen konnte. Wenn es
also zum Krieg kommen sollte, bestand keine Gefahr, daß man als Ausländer
eingesperrt wurde. Er würde nach Hause zurückkehren und sich an die Front
melden können.
    Eine weitere Entscheidung war da
offenbar ganz von selbst gefallen. Dies war keine Reise, die in die
Sommerferien hineingepackt werden würde; er würde aus Thameside weggehen, für
immer.

24
    «Also ehrlich, manchmal wünsche ich mir, das
menschliche Herz wäre wirklich nur eine dickwandige Gummibirne, du nicht?»
sagte Ruth zu Janet, mit der zusammen sie zurückgeblieben war, um ein Modell
des Kreislaufsystems abzuzeichnen, das Dr. Fitzsimmons freundlicherweise für
sie konstruiert hatte.
    Fast zwei Monate waren seit
Weihnachten vergangen, und Heinis leidenschaftliches Flehen um die Erfüllung
ihrer Liebe sollte endlich erhört werden. Ruth hatte es nicht absichtlich so
lange hinausgezögert. Sie wollte es der Heldin von La Traviata gleichtun,
die davon sang, daß sie das Leben bis zur Neige auskosten und dann sterben
wolle; und Ruth wußte, daß sie, indem sie sich Heini hingab, der Musik diente.
Heini, der für den bevorstehenden Klavierwettbewerb die Dante-Sonate
einstudierte, hatte sich eingehend mit dem Privatleben des Komponisten befaßt
und festgestellt, daß Liszt (der berühmt war für seine dämonische Art) zu der
Zeit, als er in Heinis Alter gewesen war, bereits mehrere Gräfinnen beglückt
hatte; es war daher völlig verständlich, daß Heini meinte, Liszts Kompositionen
nicht gerecht werden zu können, solange er sich in einem Zustand körperlicher
Frustration befand.
    Dennoch war es nicht einfach
gewesen. Gelegenheiten zu

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