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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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dämonischem Treiben gab es in Nummer 27 ganz einfach
nicht, und ein Hotel konnten sie sich nicht leisten. Ruth hatte sich
schließlich an Janet gewandt, die ihre Rolle als Pfarrerstochter so gänzlich
überwunden hatte, und Janet hatte geholfen.
    «Ihr könnt meine Wohnung haben»,
hatte sie gesagt. «Wir müssen nur sehen, wann die anderen weg sind. Aber
Corinne fährt fast jedes Wochenende nach Hause, und Hilary arbeitet oft den
ganzen Samstag. Ich geb dir Bescheid, wenn es klappt.»
    Gestern nun hatte Janet ihr Bescheid
gegeben. Schon am kommenden Samstag konnten Ruth und Heini die Wohnung den
ganzen Nachmittag für sich haben.
    Jetzt sagte Janet mit einem
forschenden Blick zu Ruth: «Du mußt es nicht tun, das weißt du wohl. Kein
Mensch muß es tun. Manche Leute schaffen es gar nicht, wenn sie nicht
verheiratet sind, und ich glaube, du bist vielleicht so jemand.»
    «Unsinn, es ist nichts als
Feigheit», erwiderte Ruth und radierte ein Kapillargefäß aus, das ihr mißraten
war. «Wenn du's kannst, dann kann ich es auch.»
    Janets Antwort war nicht unbedingt
beruhigend. «Ja, ich kann es und ich tu es. Mit sechzehn hab ich angefangen.
Ich hab mich geschämt, weil mein Vater Pfarrer war, und ich wollte allen
zeigen, daß ich nicht prüde bin. Und wenn man einmal anfängt, dann macht man
eben weiter. Aber jetzt bin ich einundzwanzig und habe es eigentlich schon ein
bißchen satt. Manchmal frag ich mich, wozu das alles.»
    Als sie später ihre Sachen
zusammenpackten, sagte Ruth: «Meinst du, ich sollte vorher was darüber lesen?»
    «Großer Gott, Ruth, du liest doch
sowieso ständig! Ich glaube, du weißt mehr über die Physiologie
des Fortpflanzungssystems als sonst jemand auf der Welt.»
    «Nein, ich meinte doch – so eine Art
Anleitung, wie zum Beispiel, wenn man ein Motorrad reparieren will.»
    «Natürlich, wenn du willst, kannst
du was lesen. Du brauchst nur zu Foyles gehen, in den zweiten Stock. Die haben
da bestimmt ein ganzes Dutzend solcher Bücher. Du kannst es sogar umsonst
lesen. Die Verkäufer lassen einen in Frieden, die sind das gewöhnt.»
    Am folgenden Tag fuhr Ruth also in
der Mittagspause nach Charing Cross. Pilly bestand darauf, sie zu begleiten.
Ruth hatte eigentlich nicht vorgehabt, Pilly in ihr Vorhaben einzuweihen, aber
Pilly war über Ruths heimliche Gespräche mit Janet so gekränkt gewesen, daß sie
ihr dann doch gesagt hatte, welch ekstatischer Erfahrung sie sich zu
unterziehen gedachte. Pilly war voller Bewunderung gewesen. «Du bist so mutig»,
sagte sie immer wieder, brachte aber von da an jeden Tag Lebertrankapseln mit
in die Mittagspause und drängte Ruth, sie zu schlucken.
    «Ich gehe nicht mit dir nach oben»,
sagte sie jetzt. «Ich verstehe diese Diagramme und Schaubilder ja doch nicht,
und ganz bestimmt wimmelt es da nur so von Namen. Ich warte bei den
Kochbüchern auf dich.»
    Pilly hatte recht. Es wimmelte
tatsächlich von Namen, und die Schaubilder waren ziemlich entmutigend. Es würde
einem nichts anderes übrigbleiben, als einfach zu leben bis zur bitteren Neige.
    «Es wird schon klappen, Ruth»,
meinte Janet, als sie nach ihrem Ausflug in die Buchhandlung zurückkam. «Ganz
bestimmt. Ich nehme dich morgen in die Wohnung mit und zeige dir alles. Nur auf
eines mußt du achten.»
    Ruth schluckte. «Du meinst, daß ich
nicht schwanger werde?»
    «Nein, das nicht – da wird natürlich Heini aufpassen.
Ich rede von seinen Socken.»
    «Von seinen Socken?» fragte Ruth
perplex.
    Janet legte ihr die Hand auf den
Arm. «Sieh zu, daß er sie gleich zu Anfang auszieht. Es gibt nichts Schlimmeres
als einen nackten Mann in dunklen Socken. Da kann es einem schon vergehen. Aber
du liebst ihn ja schließlich. Also brauchst du dir überhaupt keine Sorgen zu
machen.»
    Janets Wohnung war in Bloomsbury, in einer kleinen
Straße hinter dem Britischen Museum. Wäre Ruth von der Küche aus die
Feuerleiter hinuntergeklettert, so wäre sie keinen Steinwurf entfernt von dem
Keller gelandet, in dem Tante Hilda arbeitete. Hilda wäre über ihr Vorhaben
nicht schockiert gewesen; die Mi-Mi waren unbekümmerte Leute; in Betschuanaland
nahm man die Liebe auf die leichte Schulter.
    Aber ihre Eltern ... Ruth zwang
sich, nicht daran zu denken, was ihre Eltern sagen würden, wenn sie wüßten, was
sie vorhatte. Sie hatte so sehr gehofft, daß bis zu diesem Zeitpunkt die
Nichtigkeitserklärung erfolgt sein würde; dann hätte sie sich wenigstens mit
Heini verloben können. Aber ihre Ehe mit Quin bestand

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