Die Morgengabe
reichte.
«Vorsichtig», sagte Kurt Berger, wie
er das jedes Jahr gesagt hatte, seit Ruth alt genug war, die Kerzen am Baum
anzuzünden. Er war mit dem Bus aus Manchester gekommen und die ganze Nacht
gefahren. Eigentlich hätte er viel lieber zu Hause mit seiner Familie gefeiert,
aber als er jetzt in den Kreis der Gesichter blickte und seiner Tochter leicht
über das Haar strich, war er froh, daß sie sich mit ihren Freunden getroffen
hatten.
«Wunderbar», sagte Mrs. Burtt
ehrfürchtig, als die Kerzen brannten, und die beiden Damen Violet und Maud
dachten nicht mehr an Tannennadeln auf dem Boden und Wachsflecken auf den
Tischtüchern, vergaßen selbst die Brandgefahr im Glanz der Lichter.
Dann wurden die Geschenke verteilt,
und obwohl diese Leute kaum genug Geld hatten, um leben zu können, war niemand
vergessen worden. Dr. Levy hatte eine Ansichtskarte der Bank entdeckt, auf der
Leonie von der Taubenmeute überfallen worden war, und hatte einen kleinen
Holzrahmen für sie gemacht. Mrs. Burtt bekam eine Pergamentrolle, auf der sie
von Ruth in Blankversen als Königin des Willow gepriesen wurde. Selbst
der Pudel bekam ein Geschenk: einen dicken Markknochen.
Aber am schönsten waren Heinis
Geschenke. Als Heini bei Dr. Friedlander wegen eines Darlehens für den
Klavierwettbewerb vorgesprochen hatte, war ihm eingefallen, daß es nicht dumm
wäre, sich im Hinblick auf Weihnachten gleich etwas mehr Geld zu leihen. Dr.
Friedlander hatte es ihm mit größtem Vergnügen gegeben, und Heini hatte
eingekauft: Seidenstrümpfe für Leonie, Pralinen für Tante Hilda, die Selbstbetrachtungen von Marc Aurel für Kurt Berger. Das alles hatte mehr Geld gekostet, als er
erwartet hatte, und als er in das Blumengeschäft ging, um für Ruth rote Rosen
zu kaufen, mußte er feststellen, daß ein ganzer Strauß weit über seine Verhältnisse
gegangen wäre. Die Verkäuferin hatte ihm daraufhin vorgeschlagen, eine andere
Art von Rose zu schenken, eine Christrose, und ihm eine einzelne Blüte auf Moos
gebettet und in ein Zellophankästchen gepackt. Als er jetzt Ruths Gesicht sah,
wußte er, daß nichts ihr eine größere Freude hätte machen können.
Auf die Geschenke folgte das Essen –
Mrs. Weiss' Roßhaarbörse hatte für einen reichgedeckten Tisch gesorgt; es gab
Platten mit Salami und feingeschnittenem geräucherten Schinken; es gab Mandein und Aprikosen und einen milden
Weißwein aus der Wachau, den Leonie in einem Laden in Soho aufgetrieben hatte.
Aber um elf schlüpften Ruth und
Heini hinaus und wanderten Hand in Hand durch die feuchten, nebligen Straßen.»Es
war wunderschön, nicht wahr?» sagte Ruth. «Und du siehst so elegant aus!»
Gleich am ersten Ferientag hatte sie
ihren Dienst als Kindermädchen bei den fortschrittlich erzogenen Sprößlingen
der Weberin wieder aufgenommen, und mit dem verdienten Geld hatte sie Heini einen
seidenen Schal gekauft, den er zum Abendanzug tragen konnte.
«Nur schade, daß es hier nicht
schneit», fuhr sie fort. «Der Schnee fehlt mir richtig – die Stille, das
Glitzern. Weiß du noch die Eiszapfen, die in der Hofburg immer von den
Wandlampen herunterhingen? Und das Glockengeläut, und die c-Moll-Messe, die
man aus der Augustinerkirche hören konnte?»
Sie standen vor der Tür von Nummer
27. «Ich spiele es für dich», sagte Heini und zog sie ins Haus. «Komm. Ich
spiele den Schnee und die Sängerknaben und die Glocken. Ich spiele Weihnachten
in Wien.»
Und das tat er. Er setzte sich an
das Bösendorfer-Klavier und schenkte ihr eine Wiener Weihnacht in Musik, wie er
versprochen hatte. Er spielte Leopold Mozarts Schlittenfahrt und
verflocht das Stück mit den Weihnachtsliedern, die die Wiener Sängerknaben zu
singen pflegten ... Er spielte die Melodie, die der alte Mann auf dem Markt, wo
die Bergers immer ihren Baum kauften, auf seiner Drehorgel herunterzuleiern
pflegte, und dann wurde aus dieser Weise Papagenos Lied aus der Zauberflöte, das für Ruth seit ihrem achten Lebensjahr zum Weihnachtsfest gehörte. Er
spielte den Schlittschuhwalzer, zu dessen Klängen sie im Prater auf der
Eisbahn getanzt hatte, und ahmte den tiefen und feierlichen Klang der Glocken
des Stephansdoms nach, wenn sie zur Mitternachtsmesse riefen. Und er schloß mit
dem Stück, das er in der Rauhensteingasse jedes Jahr auf dem Steinway für sie
gespielt hatte – ihrer beider Lied: Mozarts tröstliches und ergreifendes
b-Moll-Adagio, das er geübt hatte, als sie einander zum erstenmal begegnet
waren.
Dann
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