Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
Vom Netzwerk:
seinen
Schreibtisch. «Ruth, würden Sie mir jetzt einfach mal in aller Ruhe sagen,
worum es eigentlich geht? Was haben Sie im Bus liegengelassen?»
    Sie strich sich das Haar aus dem
Gesicht. «Die Papiere für die Nichtigkeitserklärung. Den ganzen Packen, den Mr.
Proudfoot mir gegeben hatte. Sie waren alle in einer großen Pappröhre.»
    Quin war aufgestanden und zum
Fenster gegangen. Er stand mit dem Rücken zu ihr. Seine Schultern zuckten. Er
mußte wirklich zornig sein.
    «Es tut mir so leid. Es tut mir
wirklich schrecklich leid.»
    Quin drehte sich um, und sie sah,
daß er sich bemühte, nicht zu lachen.
    «Sie finden das komisch?» fragte sie
perplex.
    «Ja, ich muß es gestehen»,
antwortete er entschuldigend. Dann ging er zu ihr und blieb neben ihr stehen.
«Jetzt erzählen Sie mir mal genau, wie es passiert ist. Möglichst in
chronologischer Reihenfolge.»
    «Also, ich war bei Mr. Proudfoot,
und er hat mir diese Rolle mit den Dokumenten gegeben, und ich wollte gleich
nach Hampstead fahren, mit dem Bus, um die Papiere bei einem Notar zu unterschreiben.
Ich weiß, daß in der High Street einer ist. Ich hab einen von diesen altmodischen
Bussen genommen, die oben offen sind, Sie wissen schon, und bin hinaufgegangen,
weil es in Wien solche Doppeldecker überhaupt nicht gibt. Ich habe mich ganz
vorn hingesetzt und mir einfach alles angesehen, woran wir vorüberkamen. Es
war schön, so hoch oben zu sitzen und ganz im Freien. Und als wir nach
Hampstead Heath kamen, habe ich plötzlich unten am Rand des Parks eine ganze
Gruppe Steinpilze gesehen, Sie wissen schon, diese großen Pilze, die wir auch
am Grundlsee gefunden haben. Sie standen gleich hinter der Damentoilette, und
ich wußte genau, daß sie da nicht mehr lange sein würden, weil die Flüchtlinge
ja immer auf der Suche sind; deshalb bin ich die Treppe hinuntergerannt, um an
der nächsten Haltestelle auszusteigen und sie zu pflücken. Bei uns ist es
nämlich mit dem Essen ein bißchen knapp, seit Heini gekommen ist – ich meine,
meine Mutter ist immer froh, wenn jemand etwas mitbringt. Ja, und als ich dann
im Park war, merkte ich, daß ich die Papiere vergessen hatte. Aber ich habe
mich eigentlich nicht weiter aufgeregt, weil ich ganz sicher war, daß ich sie
im Depot wiederbekommen würde. Aber da waren sie nicht, und beim Fundbüro auch
nicht. Ich war in den letzten zwei Tagen mehrmals dort, aber es ist
hoffnungslos. Ich weiß nicht, wie ich das Mr. Proudfoot erklären soll. Er war
doch so nett und hat sich so bemüht.»
    «Machen Sie sich keine Sorgen, ich
spreche mit ihm. Aber etwas anderes, Ruth. Meinen Sie nicht, es wäre jetzt an
der Zeit, Heini und Ihren Eltern von unserer Heirat zu erzählen? Wir haben
schließlich nichts getan, dessen wir uns schämen müssen. Ich bin überzeugt, sie
würden ...»
    «Nein, nein, bitte!» Ruth
umklammerte seinen Arm und sah ihn flehend an. «Ich bitte Sie ... meine Mutter
hat viel Verständnis, sie macht Heinis ganze Wäsche, und sie verköstigt ihn
mit, und sie beklagt sich auch nicht, wenn er immer so lange im Bad bleibt ...
aber was es bedeutet, ein Konzertpianist zu sein, hat sie irgendwie doch nicht
ganz begriffen. Als zum Beispiel Paul Ziller für Heini diese Arbeit fand – er
hätte zwei Abende in der Woche im Lyons Corner House Klavier spielen
sollen –, da hat sie tatsächlich erwartet, daß er sie annimmt.»
    «Aber er hat es nicht getan?»
    «Nein. Er hat gesagt, wenn man
diesen Weg einmal einschlägt, wird man als Musiker nie wieder ernstgenommen;
aber Paul Ziller tut es natürlich auch, und meine Mutter ... sie ist Ihnen
sowieso schon so dankbar dafür, daß Sie meinem Vater die Arbeit besorgt haben,
und sie würde Sie bestimmt aufsuchen, um Ihnen zu danken, und Sie würden das
fürchterlich lästig finden.»
    «Ach ja, würde ich das?» fragte Quin
in einem Ton, den sie bei ihm nie vorher gehört hatte. «Na ja, kann sein. Wie
dem auch sei, ich werde Dick anrufen, damit er die Papiere noch einmal
aufsetzen läßt. Machen Sie sich keine Vorwürfe, wir haben wahrscheinlich nur
einen oder zwei Monate verloren.»
    Sie lächelte. «Vielen Dank. Ich bin
so erleichtert. Jetzt kann ich mich in Ruhe über meine Hausarbeit setzen.»
    Erst am Ende des Tages kam Quin, der
auf geheimnisvolle Weise seine gute Laune wiedergefunden hatte, dazu, seinen
Anwalt anzurufen.
    «Was hat sie getan?» fragte
Proudfoot ungläubig.
    «Das hab ich dir doch eben gesagt.
Sie hat die Papiere im Bus liegengelassen .»
    «Das ist

Weitere Kostenlose Bücher