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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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immer noch, und das war
allein ihre Schuld und ein weiterer Grund, Heini nicht länger warten zu lassen.
    Die Wohnung war recht bohemehaft;
die Möbel wirkten provisorisch, und es waren auch nicht viele, und alles war
sehr staubig. Aber das war gut so. Mimi mit ihrem eiskalten Händchen hatte auch
zur Boheme gehört und war nicht verheiratet gewesen ...
    Heini mußte jeden Moment kommen. Sie
hatte den Spülstein gesäubert und den Küchenboden gefegt und den Wein
ausgepackt, den Janet ihr als Glücksbringer geschenkt hatte. Ruth hatte deswegen
ein schlechtes Gewissen gehabt – Janet war mit dem Geld furchtbar knapp –, aber
Janet hatte ihre Proteste nicht gelten lassen.
    «Es war ein Sonderangebot im Coop»,
sagte sie.
    Der Wein würde sicher eine große
Hilfe sein, dachte Ruth, die sich erinnerte, wie der Wein im Orientexpreß auf
sie gewirkt hatte. Sie kämpfte ihre Nervosität nieder und öffnete die Tür zu
Corinnes Zimmer, das Janet als das für ihre Zwecke am besten geeignete
bezeichnet hatte. Es hatte ein Doppelbett – genauer gesagt eine Doppelmatratze
–, die mit interessant gefärbter Sackleinwand zugedeckt war. Corinne studierte
Kunst; überall an den Wänden hingen Zeichnungen, die sie im Aktkurs angefertigt
hatte. Die Frauen hatten alle himmelwärts strebende Brüste und Oberschenkel wie dorische Säulen. Heini würde
sehr enttäuscht sein, vielleicht war es am besten, das Zimmer zu verdunkeln.
Aber als sie die Vorhänge zuziehen wollte, stürzte die Bambusstange scheppernd
herab, und sie hatte gerade noch Zeit, sie wieder festzumachen, ehe es läutete.
    «Heini! Liebster!» Aber obwohl Heini
sie umarmte, sah er nicht glücklich aus. «Ist alles in Ordnung? Hast du sie?»
    «Ja, aber du hast keine Ahnung, was
ich mitgemacht habe. Die Automaten standen direkt nebeneinander, und die Anweisungen
waren abgerissen, und als ich das erstemal sechs Pence hineingeworfen habe,
kam eine Tafel Schokolade heraus – diese widerliche Cremeschokolade.»
    «Ach, Heini, so ein Pech!» Heini aß
niemals Schokolade, weil er fürchtete, er würde davon Akne bekommen.
    «Dann habe ich es bei dem anderen
Automaten versucht, und da ist die Münze steckengeblieben. Ich mußte erst mit
dem Fuß dagegentreten, und genau da kam natürlich irgendein Idiot vorbei und
feixte. Wirklich, so etwas möchte ich mir nie wieder antun.»
    Schuldgefühle packten Ruth. Heini
hatte sie gebeten, in die Apotheke zu gehen, und «das alles» zu erledigen; es
stimmte, daß ihr Englisch weit besser war als seines, aber gewisser Wörter war
man sich dennoch nicht absolut sicher, selbst dann nicht, wenn man sie im
Lexikon nachschlug. Besonders dann nicht, wenn man sie im Lexikon
nachschlug. Gleichzeitig allerdings hätte sie gern gewußt, ob er die Schokolade
mitgebracht hatte. Sie hatte ihr Mittagessen versäumt, aber es war
wahrscheinlich besser, nicht zu fragen.
    «Aber jetzt sind wir hier», sagte
sie möglichst munter und half ihm aus dem Mantel. Dann fragte sie mutig:
«Möchtest du ein Bad nehmen?»
    Heini nickte – er mußte das gleiche
Buch gelesen haben wie sie – und folgte ihr ins Badezimmer, wo sie den Boiler
anzündete und den Hahn aufdrehte. Der Erfolg war hochdramatisch: Es knallte,
zischende Dampfwolken stiegen auf, und eine blaue Stichflamme schoß in die
Höhe.
    «Um Gottes willen, da lassen wir
lieber die Finger davon!» rief Heini. «Das ist ja schlimmer als in Belsize
Park.»
    «Meinst du
nicht, es wird sich beruhigen?»
    «Nein.» Heini hatte ein Handtuch
gepackt und drückte es an seine Nase. «Emile Zola ist an einem undichten Ofen
gestorben.»
    «Na schön», sagte Ruth und drehte
den Wasserhahn zu. Nicht alle Bücher hatten heiße Bäder empfohlen. Manche waren
mehr für das Natürliche. «Komm, trinken wir erst ein Glas Wein.»
    Sie kehrten in die Küche zurück, und
sie schenkte Heini und sich ein Glas Wein ein. «Worauf wollen wir trinken?»
    Heini
lächelte. «Auf unsere Liebe.»
    Genau in diesem Moment hörten sie
draußen auf der Feuerleiter eine ganze Serie schriller Piepstöne. Ruth öffnete
die Tür, und eine schwarze Katze sauste in die Küche, im Maul einen Vogel,
einen Spatz, der noch nicht tot war.
    «O Gott!»
    «Jag sie
raus, Ruth!»
    «Ich glaube, sie wohnt hier. Janet
hat irgend etwas von einer Katze gesagt.»
    «Es ist doch egal, ob sie hier wohnt
oder nicht.» Heini sprang auf, scheuchte die Katze hinaus und verriegelte die
Tür.
    «Wir hätten
ihn töten sollen», sagte Ruth.
    «Ohne
Gewehr kann ich

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