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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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keine Katzen töten.»
    «Doch nicht
die Katze. Den Vogel!»
    Mit einem leichten Gefühl von Übelkeit
hob sie ihr Glas und trank. Sauer und kalt rann der Wein in ihren Magen. Es gab
da bei Weinen anscheinend beachtliche Unterschiede ...
    «Komm,
Ruth! Gehen wir ins Schlafzimmer.»
    «Ja, gleich, Heini. Ich möchte gern
erst etwas in Stimmung kommen. Wollen wir nicht ein bißchen Musik machen?»
    «Ich bin in Stimmung», sagte
Heini unwirsch. Aber er folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sich auf einem niedrigen
Tisch ein Stapel Schallplatten türmte.
    «Ach, schau!» sagte sie entzückt.
«Sie haben Glanzlichter aus La Traviata.»
    Aber wahre Musiker hören sich
natürlich niemals Glanzlichter an – das kann man nicht erwarten –, und Heini
machte ein ziemlich beleidigtes Gesicht.
    «Du liebst mich doch?»
    «Aber Heini, das weißt du doch!»
    Er streckte ihr in einer
jungenhaften, rührenden Geste beide Hände hin. Sie legte die ihren hinein. Sie
gingen ins Schlafzimmer. Und er zog seine Socken aus – da mußte ihn jemand
gewarnt haben. Es würde alles gut werden.
    «Ach, verdammt! Diese Wohnung ist
die reinste Müllkippe! Jetzt hab ich einen Reißnagel im Fuß.»
    Er hatte sich aufs Bett fallen
lassen und hielt mit beiden Händen seinen linken Fuß umklammert, aus dessen
Sohle tatsächlich ein Tröpfchen Blut quoll.
    «Na, wenigstens ist es nicht der
Teil, mit dem du auf die Pedale trittst», sagte Ruth, die immer seine Gedanken
lesen konnte. «Es ist rechts auf der Seite. Aber warte, ich hole ein Pflaster.»
    «Und Jod», rief Heini ihr hinterher,
als sie zur Tür lief. «Der Boden wimmelt bestimmt von Bakterien.»
    Im Badezimmer fand sie ein Fläschchen
Jod und eine Rolle Heftpflaster, aber keine Schere. Sie durchsuchte die
Schubladen in der Küche, aber ohne Erfolg. Schließlich nahm sie ein Küchenmesser
und versuchte damit, ein Stück Pflaster abzuschneiden.
    «Es hat aufgehört zu bluten», rief
Heini aus dem Schlafzimmer. «Es reicht, wenn du die Wunde desinfizierst.»
    Sie nahm das Jod mit ins
Schlafzimmer und rieb Heinis Fuß damit ein. Heini war tapfer, zuckte nicht
einmal mit der Wimper. «Jetzt müssen wir warten, bis es trocken ist.»
    «Das dauert nicht lang», sagte er.
«Zieh dich doch inzwischen aus.»
    «Ich bring nur erst das Jod zurück.
Es wär doch zu peinlich, wenn wir es ausschütten würden.»
    Sie ging an den Aktzeichnungen
vorüber, trat auf eine kleine graue Feder, die von der Brust des kleinen Vogels
herabgefallen war, und stellte die Jodflasche wieder ins Schränkchen. Als sie
zurückkam, sah sie, daß Heini schon im Bett war.
    Es ließ sich also nicht mehr länger
aufschieben – das Leben bis zur bitteren Neige. Ruth kreuzte die Arme und zog
ihren Pullover über den Kopf.
    Am selben Nachmittag, als Heini sich
in Bloomsbury als dämonischer Liebhaber übte, fuhr Quin ins Naturhistorische
Museum, um mit seinem Assistenten die bevorstehende Reise zu besprechen.
    «Ich habe leider schlechte Nachricht
für Sie», sagte Milner und kletterte von dem Gerüst herunter, auf dem er bis
jetzt, mit den Halswirbeln eines Brontosaurus beschäftigt, gestanden hatte.
Aber er lächelte dabei. Seit Quin ihm eröffnet hatte, daß sie im Juni abreisen
würden, war er glänzender Stimmung.
    «Was für schlechte Nachricht?»
fragte Quin.
    «Das sag ich Ihnen unter vier
Augen», antwortete Milner geheimnisvoll und führte Quin in sein kleines Büro
im Souterrain. «Es handelt sich um Brille-Lamartaine», fuhr er fort. «Er hat
anscheinend von unserer geplanten Reise Wind bekommen und möchte mit. Seit
Tagen lauert er mir auf, macht mir Andeutungen und geht mir ganz generell
fürchterlich auf die Nerven. Ich habe ihm kein Wort gesagt, aber es scheint
etwas durchgesickert zu sein.»
    «Ach, du lieber Gott! Ich dachte, er
sei in Brüssel.»
    Brille-Lamartaine war der belgische
Biologe, dessen Brille von einem Yak zertrampelt worden war. Es kommt selten
vor, daß ein Mitglied einer Expedition die reine Katastrophe ist und nicht
wenigstens ein paar Züge aufweist, die mit ihm versöhnen; BrilleLamartaine
jedoch war ein solcher Fall.
    «Wo er wohl davon gehört hat?»
    «Er war viel bei der Geographischen
Gesellschaft. Hillborough ist ja absolut diskret, aber vielleicht ist eben doch
etwas durchgesikkert.»
    «Passen Sie auf», sagte Quin, «Wenn
er das Thema wieder aufs Tapet bringt, dann sagen Sie ihm, daß ich eine Frau
mitnehme. Eine meiner Studentinnen. Eine junge, lebenshungrige Person, die für
Männer eine

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