Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
Vom Netzwerk:
sprechen. Er fängt mit G an. Klingt wie Kugel oder so –
Gugelhupf, glaube ich.»
    Violet stellte ihre Tasse nieder.
«Du meinst, wir sollen ihn bei der deutschen Bäckerei bestellen?»
    «Aber nein, natürlich nicht. Es
kommt doch nicht in Frage, daß wir hier etwas anderes als hausgemachtes Gebäck
verkaufen. Ich habe mir das Rezept einmal angesehen, als ich in der Bibliothek
war», bekannte Maud und errötete. «Man braucht eine besondere Form dafür, aber
sonst ist es relativ einfach.»
    Helfen kann man auf viele Arten. An
jenem Frühsommerabend, als Ruth mutterseelenallein in Österreich festsaß und in
Schloß Windsor die ersten Luftschutzsirenen ausprobiert wurden, gaben die Damen
vom Tea-Room Willow ihre Prinzipien zugunsten von Mitgefühl auf.
    «Na gut, wenn du meinst, Maud»,
sagte Violet – und sie ließen die Katze herein, spülten ihre Tassen und gingen
zu Bett.

4
    Auf dem Westbahnhof war es mittags
um zwei immer relativ ruhig. Von Bahnsteig sieben fuhren nur Bummelzüge ab.
Hier gab es keine herzzerreißenden Abschiedsszenen; keine weinenden Eltern,
keine mit Kennmarken versehenen Kinder, die ins sichere Ausland geschickt
werden sollten. In den Dritte-KlasseWagen mit den Holzbänken drängten sich
Bauersfrauen mit kleinen Kindern, schweren Bündeln, gackernden Hühnern in
Käfigen.
    Ruth, die am offenen Zugfenster
stand, trug Dirndl und Lodenumhang wie die andern Frauen, und ein Tuch um den
Kopf. In einem Schrank im Arbeitszimmer ihres Vaters hatte sie einen alten
Rucksack gefunden und ihre wenigen Habseligkeiten umgepackt. Mit den braven
Zöpfen sah sie aus wie sechzehn, und sie schien bester Stimmung zu sein.
    «Außerdem kann ich den dortigen
Dialekt. Sie werden schon sehen, es wird alles ganz prima gehen. Sie hätten mir
nur nicht soviel Geld geben sollen.»
    «Ich kann es mir leisten, das habe
ich Ihnen doch gesagt.»
    Ungeachtet der Telegramme und
telefonischen Nachrichten aus England, die sich für ihn am Empfang des Sacher
sammelten, hatte Quin seine Abreise um einen weiteren Tag verschoben, um sicher
zu sein, daß sie wohlbehalten an ihrem Bestimmungsort angekommen war. Zwei
Nächte hatte Ruth im Museum verbracht; niemand hatte sie verraten, nicht die
Putzfrau und nicht der Nachtwächter, und Quin, der froh war, daß seine Aufgabe
nun fast erledigt war, lächelte mit onkelhafter Güte zu ihr hinauf.
    «Ich bin bestimmt das reichste
Bauernmädchen in ganz Österreich», sagte sie. «Aber ich zahle es Ihnen zurück.
Ich schwöre es, bei Mozarts Kopf.»
    Er machte eine wegwerfende Geste.
«Lassen Sie den armen Mann in Frieden ruhen.»
    Der Kontrolleur kam vorbei, die
Türen wurden zugeschlagen. Die Lokomotive stieß zischende Dampfwolken aus, und
im Schutz dieses Getöses beugte sich Ruth weit zu Quin hinunter und sprach
direkt in sein Ohr.
    «Wenn Sie in England zu meinen
Eltern gehen, würden Sie ihnen dann bitte sagen, sie sollen sich keine Sorgen
machen ...»
    «Aber natürlich.»
    «Nein, ich meine, würden Sie ihnen
sagen, daß ich schon sehr, sehr bald bei ihnen sein werde? In weniger als einem
Monat, hoffe ich. Ich weiß schon genau, was ich tun werde.»
    Beunruhigt sah er sie an. «Was soll
das heißen?»
    Jetzt hatte man die Postsäcke
eingeladen. Eine letzte Tür flog krachend zu – und Ruths Gesicht tauchte
strahlend und selbstsicher aus den Dampfwolken.
    «Ich gehe über die Berge in die
Schweiz», sagte sie. «Das hab ich schon mal getan, als ich in den Ferien dort
war. Man geht über die Kanderspitze. Es sind nur ein paar Stunden. Ich bin mit
einem von den Jungen vom Hof gegangen, und die Grenzer haben sich nicht mal
umgedreht.»
    «Um Himmels willen, Ruth, das war
vor Hitler. Die Schweizer sind bewaffnet und im Alarmzustand. Am Ende
erschießen sie Sie noch als Spionin.»
    «Unsinn. Bestimmt nicht. Ich
garantiere Ihnen, daß alles gutgeht. Sobald ich drüben in der Schweiz bin,
fahre ich zur französischen Grenze und schwimme über die Arve, das ist ein
Nebenfluß der Rhone und überhaupt nicht breit; ich habe es mir auf der Karte
angesehen. Ich bin eine sehr gute Schwimmerin, wissen Sie. Und wenn ich dann in
Frankreich bin, brauche ich mich nur mit dem Vetter meines Vaters in Verbindung
zu setzen. Er hat ein Schiff und bringt mich bestimmt über den Kanal, da bin
ich ...» Sie brach ab. «Was machen Sie da? Sie tun mir weh! Lassen Sie mich
los!»
    Quin hatte die Tür aufgezogen; er
packte ihren Arm; er zerrte sie aus dem Zug.
    «Hören Sie endlich auf!» fuhr er sie
zornig

Weitere Kostenlose Bücher