Die Morgengabe
an. «Über die Berge steigen, einen Fluß durchschwimmen – Sie sind ja
schlimmer als ein Kind! Glauben Sie denn, dies alles sei eine
Abenteuergeschichte? < Ruth auf großer Fahrt > ? Die Welt steht am Rand
eines – ach, zum Teufel!»
Sie war jetzt unten auf dem
Bahnsteig. Er packte sie fester, als sie sich zu wehren begann, und streckte
den freien Arm nach dem Rucksack aus, den eine Bauersfrau, die den männlich
harten Zugriff offensichtlich billigte, ihm aus dem Fenster reichte. Der
Kontrolleur näherte sich, unwillig über die Störung, schlug die Tür zu und
setzte seine Pfeife an die Lippen.
«Dazu haben Sie kein Recht!»
schimpfte Ruth strampelnd, aber der Zug fuhr bereits mit einem Ruck an und
stampfte aus dem Bahnhof.
«Besorgen Sie mir ein Taxi», rief
Quin einem grinsenden Träger zu.
«Das verzeihe ich Ihnen nie»,
schäumte sie.
«Tja, damit werde ich dann wohl
leben müssen», versetzte Quin und schob sie in das Taxi.
Es war ein Fehler gewesen, das Wort «morganatisch» in ein
Gespräch einzuflechten, das sowieso schon schlecht lief. Quin hatte eine schlaflose Nacht hinter
sich und hatte die letzten achtundvierzig Stunden nichts anderes getan, als
diverse Beamte zu beschimpfen, zu beschwatzen, zu bedrohen, zu bestechen, sonst
wäre er bestimmt nicht auf diese dumme Idee gekommen, zumal sie Englisch
sprachen. Ruths schottischer Akzent war jetzt nur noch in einem ganz leichten
Anklang vorhanden, sie beherrschte die englische Sprache fließend, aber der
Begriff der morganatischen Ehe sagte ihr weder auf Deutsch noch auf Englisch
etwas.
«Und wer ist dieser Morgan?» fragte
sie.
«Gar niemand», antwortete Quin
seufzend. Sie saßen in einem Café im Stadtpark, und er war beinahe sicher, daß
jeden Moment jemand einen Straußwalzer anstimmen würde. «Das Wort morganatisch
kommt aus dem Lateinischen matrimonium ad morganaticum – das heißt < Ehe auf bloße Morgengabe > . Die
Morgengabe ist das Geschenk, das der Ehemann der Ehefrau am Morgen nach der
Brautnacht übergibt. Er befreit sich damit von jeder Verantwortung für die
Ehefrau. Wie Franz Ferdinand. Seine Ehefrau bekam keinen seiner Titel und keine
seiner Pflichten.»
Wenn er gehofft hatte, das Thema
damit aus dem Weg zu räumen, daß er Österreichs unpopulärsten Erzherzog
erwähnte, so wurde er enttäuscht.
«Aber Sie sagen doch, daß es für uns
gar keine Hochzeitsnacht gäbe, also würde Morgan sowieso keine Rolle spielen.»
Quin trank seinen Schnaps aus und
stellte das Glas nieder. Er hatte Kopfschmerzen, was selten vorkam. «Ja, das
ist richtig. Unsere Heirat wäre lediglich eine Formalität. Ich wollte nur
sagen, daß es viele Möglichkeiten der Eheschließung neben der konventionellen
gibt ...» Er brach ab. Jetzt geschah nämlich genau das, was er gefürchtet
hatte. Mindestens ein Dutzend Frauen in mit Gold betreßten Uniformen betraten
den Musikpavillon. Nicht nur Strauß, sondern Strauß von Frauen dargeboten.
«Was ist denn?»
«Spielen die jetzt Strauß?»
«Ja», antwortete Ruth beglückt. «Das
ist die Frauenkapelle vom Prater – sie sind unheimlich gut.» Sie warf ihm einen
ungläubigen Blick zu. «Mögen Sie etwa keine Walzer?»
«Nicht vor dem Tee.» Er runzelte die
Stirn und zügelte mühsam seine Gereiztheit. Bei Tag konnte man ihn und Ruth, da
sie ausschließlich Englisch miteinander sprachen, leicht für ausländische
Touristen halten; doch sie übernachtete immer noch im Museum, und es war nur
eine Frage der Zeit, bis jemand sie verriet.
«Hören Sie, Ruth, wir können nicht
noch mehr Zeit verschwenden. Ich muß endlich nach England zurück, und Sie
wollen auch dorthin. Der Konsul hier kann uns trauen – das ist eine Sache von
ein paar Minuten, eine reine Formalität. Dann werden Sie als meine Ehefrau in
meinen Paß eingetragen – Sie werden de facto britische Staatsbürgerin.
Wenn wir in London sind, geht jeder seiner Wege, und wir lösen die Ehe wegen
...»
Er hielt gerade noch rechtzeitig
inne. Nach der morganatischen Ehe nun von Straußwalzern begleitet auch noch den
Nichtvollzug der Ehe mit dieser obstinaten kleinen Person zu diskutieren, dazu
hatte er weiß Gott keine Lust.
Ruth schwenkte schweigend ihr Glas
hin und her und beobachtete die Bewegungen der Limonade. «Schade eigentlich,
daß es keinen Morgan gibt», meinte sie. «Er könnte einem bei der Auswahl der
Morgengabe helfen. Es müßte etwas sehr Schönes sein, damit es einem nicht
soviel ausmacht, daß man keine Rechte und Pflichten
Weitere Kostenlose Bücher