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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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bekommt. Ein Bernhardiner
vielleicht.»
    Quin beugte sich über den Tisch und
legte flüchtig seine Hand auf die ihre. «Ruth, lassen wir Morgan jetzt ruhen,
ja? Das Thema ist erledigt. Ich hole Sie um elf im Museum ab; dann heiraten
wir, und am Abend nehmen wir den Nachtzug.»
    Er war aufgestanden, aber sie folgte
ihm nicht.
    «Verstehen Sie denn nicht», sagte
sie leise und eindringlich. «Ich kann das nicht annehmen. Es gibt doch in
England bestimmt eine Frau, die Sie heiraten wollen.»
    «Nein. Und was Ihren Heini angeht,
so wird er gewiß froh sein, Sie gesund und wohlbehalten wiederzusehen, auch
wenn Sie dann mit der Heirat noch ein Weilchen warten müssen. Überlegen Sie
doch mal, wie es Ihnen ginge, wenn es umgekehrt wäre.»
    «Ja, ich würde alles tun, um mit
Heini zusammensein zu können», sagte sie leise. «Aber es ist
Ihnen gegenüber nicht fair. Ich kann von Ihnen nicht verlangen ...»
    Doch Quins Blick war auf den
Musikpavillon gerichtet, wo jetzt das Schlimmste geschah. «Um Gottes willen,
verschwinden wir hier», sagte er und zog sie hoch. «Diese Forelle in der
Pickelhaube hebt schon den Taktstock.»
    «Es ist Wiener Blut», sagte
Ruth vorwurfsvoll, als die ersten Töne durch den Park schallten.
    «Es ist mir egal, was es ist»,
erklärte Quin und suchte das Weite.

5
    Es war eine stürmische Nacht gewesen, aber jetzt klarte
der Himmel auf, und über Lindisfarne, der Heiligen Insel, zeigte sich ein
schmaler silberner Lichtstreifen, wurde langsam breiter – und das Meer, das
Minuten zuvor noch bedrohlich und schwarz gewesen war, leuchtete plötzlich
unglaublich blau. Drei Kormorane segelten tief über das Wasser, und von den von
Vögeln dicht bevölkerten Klippen war das unaufhörliche Kreischen der nistenden
Dreizehenmöwen und Seeschwalben zu hören.
    Aber die Frau, die in dicken Tweed
gekleidet, das graue Haar unter einem Wollschal verborgen, auf der Terrasse von
Bowmont stand, beachtete weder die Vögel noch die runden Köpfe der Seehunde,
die vor der Landzunge auf dem Wasser schaukelten. Sie hielt ihren Feldstecher
auf den langen, ockerfarbenen Strand der Bowmont-Bucht gerichtet, wo jetzt, bei
Ebbe, die Felstümpel zu beiden Seiten klar zu sehen waren. Der Halbmond gelben
Sands krümmte sich in einer Länge von einer halben Meile zur nächsten
Landzunge, aber sein Frieden war besudelt – von Menschen. Drei waren es; nein,
mehr ... eine ganze Familie, die da herumplanschte und zweifellos kreischte.
Sie konnte einen Mann und eine Frau erkennen, und noch eine Frau – eine
Großmutter. Und ein Kind. Das waren keine Fischer oder Einheimischen, die dort
ihrer täglichen Arbeit nachgingen.
    «Ausflügler!» stieß Frances
Somerville hervor. Ihre Stimme war tief, ihre Empörung grenzenlos.
    Diese Leute mußten sofort
verschwinden. Man mußte sie wegjagen. Immer häufiger kamen sie angereist –
Urlauber, Touristen, die die unbewohnten, stillen Orte heimsuchten, Krebse
fingen, in unmöglichen Kleidern herumliefen ...
    Bowmont stand auf einem Felskap: ein
alter Wehrturm, dem vor Generationen ein Bau aus ockerfarbenem Stein angefügt
worden war. Einsam, von den Seewinden gepeitscht, stand es dort über dem Meer,
seine Geschichte untrennbar mit der des Landes Northumbria verbunden: vom Meer
her von den Dänen bedroht, vom Land her von den Schotten, von Warwick, dem
Königsmacher, belagert; in Schutt und Asche gelegt und wiederaufgebaut.
    Turner hatte es vor dem Hintergrund
eines wildbewegten Sonnenuntergangs gemalt, mit einem gefährlich geneigten
Segler am Fuß seiner meerumspülten Klippen. St. Cuthbert hatte auf Lindisfarne
den Eiderenten gepredigt, die heute noch auf der Landzunge nisteten, und von
der weißen Nadel des Leuchtturms von Longstone aus hatte sich Grace Darling,
Retterin der Schiffbrüchigen direkt in die Legende hineingerudert. Als Kind
hatte Quin genau gewußt, wo Gott wohnte. Nicht im Heiligen Land wie in seiner
bebilderten Bibel dargestellt, sondern im stürmischen, wetterwendischen, von
Wolken bewegten Himmel über seinem Zuhause.
    Frances Somerville war vierzig
gewesen, eine alte Jungfer, die immer noch zu Hause lebte, als der alte Quinton
Somerville, der legendäre und gefürchtete «Basher», Admiral im Ruhestand, nach
ihr geschickt hatte.
    «Mit mir geht es zu Ende», hatte der
Basher gesagt. «Ich möchte, daß du nach Bowmont kommst und dich um den Jungen
kümmerst, bis er erwachsen ist.»
    Frances hatte abgelehnt. Sie mochte
den Alten nicht, der nie ein Hehl daraus gemacht

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