Die Morgengabe
den Brief unterschrieben hatte,
blieb er noch eine Weile auf der Veranda und genoß den Duft, der aus dem Garten
aufstieg. «Ich liebe dich, Ruth», sagte er laut und fühlte sich erhoben und
befreit und gut, wie das bei Menschen der Fall ist, wenn sie sich entschieden
haben. Er wäre noch länger draußen geblieben, aber das durchdringende Summen
einer Mücke irgendwo über seinem Kopf irritierte ihn. Am Grundlsee hatte ihn
einmal eine Mücke in den Ballen seines Zeigefingers gestochen, und der Stich
hatte angefangen zu eitern. Heini eilte also ins Haus, schloß die Fenster und
ging zu Bett.
8
Erst als sie auf dem Bahnsteig stand und zu den
königsblauen Waggons mit den Emblemen und der Aufschrift Compagnie Internationale
des Wagons-Lits über den Fenstern hinaufsah, begriff Ruth, daß sie mit dem
Orient-Expreß reisen würden.
Und als sie jetzt Quin in dem
feudalen Speisewagen des Zugs, der durch das abendliche Land brauste,
gegenübersaß, sah sie sich staunend um. Sie hatte Luxus erwartet, aber die
verschwenderische Pracht der Lalique-Ornamente, der Einlegearbeiten aus Rosenholz,
die die Trennwände schmückten, der vergoldeten Metallblüten an der Decke
übertraf ihre kühnsten Vorstellungen. Die Servietten auf den
Darnasttischdecken waren kunstvoll zu Schmetterlingen gefaltet; neben jedem
Teller stand eine Reihe funkelnder Kristallgläser; Poinsettia-Arrangements
glühten im Licht der Lampen.
«Wie unvorstellbar schön!» sagte
Ruth. Sie bemühte sich, ein schlechtes Gewissen zu bekommen, aber ohne Erfolg.
«Das ist ja wie auf einer richtigen Hochzeitsreise! Sie hätten das nicht tun
sollen.»
«Nicht der Rede wert», entgegnete
Quin und reichte ihr die Speisekarte.
Tatsächlich hatte er Beziehungen
spielen und einiges an Bestechungsgeldern springen lassen müssen, um so
kurzfristig noch ein Schlafwagenabteil in diesem Zug zu bekommen. Er hatte es
getan, weil er ihr nach den Tagen heimlicher Gefangenschaft und vor den harten
Zeiten der Armut, die sie in London erwarteten, noch einen Moment des
Wohllebens schenken wollte. Während sie die Speisekarte studierte, winkte er
dem Kellner und bat ihn, die Jalousie herunterzulassen, denn jetzt näherten sie
sich der vertrauten Landschaft um den von ihr so geliebten Grundlsee.
«Ich müßte eine ungarische Gräfin
sein», bemerkte Ruth, während sie die anderen Gäste musterte. «Oder mindestens
eine Spionin.» Ein Blick auf die Leute, die in den Zug eingestiegen waren,
hatte genügt, sie zu veranlassen, ihr «Umblätter-Kleid» herauszuholen. Und
dennoch kam sie sich beinahe wie Aschenputtel vor; Quin hingegen, ganz in der
mysteriösen Tradition des Engländers, der soeben aus der Wildnis in die
Zivilisation zurückgekehrt ist, sah in seinem Smoking absolut tadellos aus.
«Schauen Sie doch mal, die Stola dieser Dame – das ist Zobel», sagte sie leise.
«Und trotzdem würde sie bestimmt
hebend gern mit Ihnen tauschen», erwiderte Quin mit einem kurzen Blick auf das
stark geschminkte Gesicht der alternden Frau.
«Weil ich in Ihrer Gesellschaft bin,
meinen Sie?»
«Nein, deswegen sicher nicht», antwortete
Quin, ohne näher auf ihre Frage einzugehen.
«Können Sie mir nicht beim Bestellen
helfen?» bat Ruth wenig später. «Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.»
«Ich hatte gehofft, daß Sie mich das
bitten würden», sagte Quin. «Ich finde nämlich, wir sollten dem Wein ganz
besondere Aufmerksamkeit widmen.»
Der Sommelier präsentierte Quin den
ausgesuchten Wein mit der Feierlichkeit einer Hebamme, die dem
Oberhaupt einer adeligen Dynastie den langersehnten Stammhalter präsentiert.
«Probieren Sie», forderte Quin Ruth
auf und wechselte einen Verschwörerblick mit dem Kellner.
Ruth
ergriff ihr Glas, trank einen Schluck, schloß die Augen, trank noch einen
Schluck, öffnete sie wieder. Einen Moment lang schien es, als wollte sie etwas
sagen – eine Bewertung abgeben oder vielleicht einen Vergleich ziehen; dann
aber tat sie nichts dergleichen, schüttelte nur einmal wie fassungslos den
Kopf und lächelte.
Ruths Freunde in Wien wußten, daß
Musik sie zum Verstummen bringen konnte; Quinton Somerville, der ihr einen
Pouilly-Fuissé kredenzte, erfuhr, daß auch ein edler Wein sie sprachlos machen
konnte.
«Ich sehe schon, es wird mir richtig
leid tun, Sie nicht weiterbilden zu können», sagte er. «Sie sind ein
Naturtalent.»
«Aber wir können doch Freunde
bleiben, nicht wahr? Später, meine ich, nach der Scheidung.»
Quin antwortete nicht.
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