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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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vereinbart – und es wurde eine Katastrophe.
    Das Mädchen war nicht nur reizlos –
ein unscheinbares Äußeres hätte ihn nicht gestört –, sondern ausgesprochen
häßlich; ihre Brillengläser fingen das Licht ein und blitzten irritierend;
außerdem hatte sie vorstehende Zähne. Als würde das noch nicht genügen, machte
sie ihn fast wahnsinnig mit ihrer devoten Diensteifrigkeit, ihrem Bemühen, sich
ja nützlich zu machen, und obwohl sie als Studentin der Hochschule natürlich
Noten lesen konnte, war sie so zögerlich, hatte solche Angst davor, voreilig zu
sein, daß er mehrmals am Ende des Blattes nicken
mußte. Aber das schlimmste war, daß Mali schwitzte.
    Heini vermißte Ruth jeden Tag, seit
er in Budapest zurück war, aber in den Tagen vor dem Konzert wurde seine
Sehnsucht nach ihr zu einem dauernden Schmerz. Ruth blätterte mit solcher
Anmut, mit solchem Geschick die Seiten um, daß man kaum merkte, daß sie da war;
sie duftete süß und zart nach Lavendelshampoo, und nicht ein einziges Mal in
all den Jahren, seit sie an seiner Seite saß, hatte er nicken müssen.
    Zu Heinis Kümmernissen trug ferner
die Tatsache bei, daß seine Stiefmutter keine Ahnung hatte, welche inneren
Spannungen der bevorstehende öffentliche Auftritt für ihn mit sich brachte.
Heinis Hände waren natürlich versichert, und sie wie seine Augäpfel zu hüten,
war ihm zur zweiten Natur geworden; aber ein Pianist spielte mit dem ganzen
Körper, und als er über ein Kehrschäufelchen stolperte, das seine Stiefmutter
auf der Treppe stehengelassen hatte, geriet er darüber ziemlich in Rage.
    «Ich bin nicht pingelig», sagte er
zu Marta, «aber wenn ich mir den Knöchel verstaucht hätte, könnte ich einen
Monat lang das Pedal nicht betätigen.»
    Bei den Bergers, deren Wohnung ihm
ein zweites Zuhause geworden war, war alles so herrlich anders gewesen. Da
hatte nicht nur Ruth, sondern auch ihre Mutter und das Personal ihm mit Freuden
gedient; geradeso wie er mit Freuden seiner Muse, der Musik, diente.
    Am Tag des Konzerts wurde Heinis
Sehnsucht nach Ruth vollends zur Qual. Der Tag begann schon schlecht. Früh um
neun bereits weckte ihn das durchdringende Brummen des Staubsaugers vor seiner
Zimmertür, obwohl er doch am Tag eines Konzerts stets ausschlafen mußte. Als er
sich beschwerte, erklärte ihm seine Stiefmutter, das Mädchen müsse mit seiner
Arbeit fertig werden, und machte ihn darauf aufmerksam, daß er bereits zehn
Stunden im Bett zugebracht hatte.
    «Im Bett, ja, aber ich habe nicht
geschlafen», entgegnete Heini bitter – doch im Grund erwartete er gar nicht,
daß sie ihn verstand.
    Der nächste Stolperstein des Tages
war das Mittagessen. Vor einem Konzert konnte Heini niemals etwas Schweres
essen, und in Wien war Ruth immer schon zeitig ins Café Museum gegangen, um
einen Ecktisch zu reservieren und zu überprüfen, ob die Rinderbouillon, das
einzige, was Heini an so einem Tag hinunterbrachte, wirklich klar war und die
Brötchen gut durchgebacken. Marta hingegen schien zu erwarten, daß er auf
Schweinsbraten mit Knödeln spielte!
    Früher, als er eigentlich
beabsichtigt hatte, ging Heini aus dem Haus, und auf dem Weg die elegante Váci
utca hinunter sah er schon der nächsten Herausforderung ins Gesicht: Es galt,
eine Blume für das Knopfloch zu kaufen. Eine Gardenie war für die Hochschule
wahrscheinlich etwas übertrieben, ebenso eine Kamelie, aber eine Nelke, eine
weiße Nelke, müßte genau das Richtige sein. Natürlich hatte immer Ruth ihm die
Blumen besorgt – er hatte ihr einmal dabei zugesehen, wie sie voll Eifer, ihn
perfekt auszustaffieren, zusammen mit der Verkäuferin nach der vollkommenen
Blüte gesucht hatte.
    Mutig betrat Heini nun allein das
nächste Blumengeschäft und wählte mit Hilfe einer Verkäuferin eine weiße Nelke.
Erst als er mit der in Zellophan verpackten Blume aus dem Laden trat, fiel ihm
ein, daß er keine Nadel hatte.
    Im Foyer der Hochschule erwartete
ihn Professor Sandor.
    «Der Besuch ist ausgezeichnet – der
Saal ist fast voll. Wenn man bedenkt, daß wir keine zwei Wochen für die Reklame
zur Verfügung hatten und heute abend in der Oper eine Premiere stattfindet,
können wir ausgesprochen zufrieden sein.»
    Heini nickte und ging ins grüne
Zimmer, und da erwartete ihn Mali in einem unglaublich scheußlichen Kleid:
karminroter Crêpe de Chine, der über ihrem Busen spannte und ihre
hervorstehenden Schlüsselbeine enthüllte. Die knallige Farbe würde das Auge
ablenken und beschäftigen.

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