Die Morgengabe
Ruth wählte immer Kleider, die mit den
Hintergrundfarben des Saals verschmolzen, dezente Kleider, die ihr dennoch
wunderbar zu Gesicht standen.
«Haben Sie eine Sicherheitsnadel?»
fragte er, und wenigstens damit konnte Mali dienen. Sie schaffte es trotz ihrer
Tolpatschigkeit und Nervosität sogar, ihm die
Blume anzustecken. «Ich brauche jetzt absolute Ruhe», erklärte er dann mit
Entschiedenheit und setzte sich so weit wie möglich von ihr weg.
Den Frieden, nach dem er so dringend
verlangte, bekam er dennoch nicht. Mali fingerte unablässig an den Noten der
Beethoven-Sonate herum, prüfte immer wieder, ob alle Seiten da waren,
räusperte sich ...
Ruth wußte stets genau, wie sie ihm
in diesen letzten Augenblikken vor einem Konzert oder einer Prüfung die Ruhe
geben konnte, die er brauchte. Sie pflegte ein Dominospiel mitzubringen, und
dann spielten sie eine Weile; oder sie saß einfach still mit gefalteten Händen
da, das herrlich lohfarbene Haar mit einem Band zurückgebunden, damit es ihr
nicht ins Gesicht fiel und die Zuhörer ablenkte. Ruth sorgte stets dafür, daß
in der Pause frisches Zitronenwasser auf ihn wartete; er mußte nie an seine
Noten denken, sie lagen immer bereit, immer in der richtigen Reihenfolge. Als
er jetzt in den Spiegel sah, stellte er fest, daß seine weiße Nelke merklich
schief saß.
«Fünf Minuten!» rief es von draußen.
«Mein Taschentuch!» rief Heini in
plötzlicher Panik. Das weiße in der Tasche seiner Smokingjacke war natürlich
da, aber das andere, das, mit dem er sich zwischendurch die Hände zu trocknen
pflegte ...
Mali wurde brennend rot und sprang
auf. «Entschuldigen Sie – ich wußte nicht, daß ich ...»
«Schon gut.» Er suchte das heraus,
das seine Stiefmutter für ihn gewaschen hatte, aber es war Baumwolle, nicht
Leinen. Die Dienstmädchen bei den Bergers hatten seine Taschentücher immer
gekocht und leicht gestärkt; sie hatten stets so frisch und sauber gerochen.
Es war Zeit zu gehen. Professor
Sandor schaute zur Tür herein. «Bartók ist hier!» sagte er strahlend, und Heini
stand auf.
Der Applaus, mit dem er empfangen
wurde, war laut und enthusiastisch. Heini Radek war aber auch ein erstaunlich
gutaussehender junger Mann mit seinen dunklen Locken und dem schlanken,
biegsamen Körper. So sollten Pianisten aussehen.
Heini verbeugte sich, lächelte einem
Mädchen in der ersten Reihe zu, sandte einen Blick zum Balkon hinauf, nickte
respektvoll in Richtung von Ungarns größtem Komponisten. Als er sich umdrehte,
um sich auf dem Klavierhocker niederzulassen, sah er, daß sich Mali mit
hüpfendem Adamsapfel auf ihrem Stuhl vorbeugte. Er hatte ihr immer wieder
gepredigt, sie müsse zurückgelehnt bleiben, das Publikum dürfe gar nicht
bemerken, daß außer ihm noch jemand auf der Bühne war, und nun fuhr sie
erschrocken zurück. Unglaublich – wie konnte ein Mensch nur so täppisch sein?
Und noch dazu hatte sie sich mit irgendeinem widerlich süßen Parfüm übergossen,
dessen Duft sich auf ekelhafte Weise mit dem Geruch ihres Schweißes vermischte.
Aber jetzt durfte es nur noch die
Musik geben. Er schloß die Augen einen Moment, um sich zu konzentrieren, dann
öffnete er sie wieder und begann zu spielen.
Und Professor Sandor, der leise in
die erste Reihe geschlüpft war, nickte zufrieden. Der Junge war trotz allem
ungeheuer musikalisch, und die ganze Mühe, die er in die Organisation dieses
Konzerts gesteckt hatte, hatte sich gelohnt.
Erst nach drei Zugaben und tosendem Applaus dachte Heini
wieder an Ruth. Sie hatte immer auf ihn gewartet, ganz gleich, wo er gespielt
hatte – zurückhaltend, still, aber so bezaubernd hübsch, immer in seiner Nähe,
so daß er ihr zulächeln und sie an seine Seite ziehen konnte, wenn er wollte,
und doch nie aufdringlich, wenn er sich seinen Bewunderern widmete, die ihm
sagen wollten, wie sehr sie sein Spiel genossen hatten. Später pflegte sie mit
ihm zusammen in die Rauhensteingasse zurückzukehren, wo Leonie ihn schon mit
seinen Lieblingsspeisen erwartete, und dann sprachen sie über das Konzert,
durchlebten noch einmal den ganzen Abend bis ins kleinste Detail, bis er sich
schließlich soweit abreagiert und entspannt hatte, daß er schlafen konnte. Und
wenn er zu einer Feier eingeladen war, von Leuten, die ihm eventuell nützlich
sein konnten, schlich Ruth sich still und ohne ein Wort des Vorwurfs davon.
Mali hingegen wartete jetzt auf Lob
und Anerkennung. Ihre Augen hinter den Brillengläsern
flackerten nervös.
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