Die Morgengabe
Er
betrachtete Ruth. Ihr Haar leuchtete, und der Blick ihrer dunklen Augen war
weich und verträumt. Quin hatte natürlich Freundinnen, aber so sah keine von ihnen
aus.
Dann brachte der Kellner Ruth die
bestellten Vol-au-vents, leicht wie ein Hauch, mit einer köstlichen Füllung aus foie gras und Austern, und sie mußte sich nun ganz dem Essen widmen,
hatte allenfalls Zeit, ab und zu einen bewundernden Blick auf Quin zu werfen,
der mit leichtfingriger Eleganz seine flambierten Krebse auseinandernahm.
Erst als ihre Teller abgetragen und
die Fingerschalen gebracht wurden, sagte sie: «Um noch einmal auf die Hochzeit
zurückzukommen ... ich meine, auf die Tatsache, daß wir verheiratet sind ...»
«Ja?»
«Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir
niemand etwas davon sagen? Überhaupt keinem Menschen?»
Quin stellte sein Glas nieder. «Ganz
im Gegenteil. Mir wäre das sehr recht. Ich hasse Aufsehen und Wirbel jeder
Art.» Dennoch war er erstaunt. So wie er die Bergers kannte, konnte er sich Geheimnisse zwischen Ruth und ihrer
Familie kaum vorstellen. «Werden Sie es denn vor Ihren Eltern geheimhalten
können?»
«Ich denke schon, ja. Wenigstens
vorläufig. Wenn ich später meinen eigenen britischen Paß bekomme, werden sie es
natürlich erfahren – aber da sind wir dann ja schon geschieden.» Sie zögerte,
unschlüssig, ob sie mehr sagen sollte. «Meine Eltern sind sehr altmodische
Leute, wissen Sie. Es würde ihnen bestimmt nicht in den Kopf gehen, daß eine
Heirat keinerlei Bedeutung haben soll. Und ich könnte es nicht aushalten, wenn
sie versuchen sollten, Sie – ich meine mit Ihnen ...» Sie schüttelte den Kopf
und setzte noch einmal an. «Sie waren immer sehr lieb und gut zu Heini; er hat
ja praktisch bei uns gelebt. Aber ich glaube nicht, daß ihnen klar ist, wie es
um ihn und mich steht – besonders meine Mutter ist ziemlich ahnungslos. Sie
würde vielleicht glauben, daß Sie – daß wir ...»
Nein, sie konnte Quin nicht
erklären, wie groß ihre Angst vor dem Beifall ihrer Eltern zu dieser Heirat
war; vor der Dankbarkeit, mit der sie ihn in Verlegenheit bringen und ihm das
Gefühl geben würden, nicht mehr heraus zu können. Keinesfalls durfte Quin den
Eindruck erhalten, sie erwarte nach der Ankunft in England noch irgend etwas
von ihm; das wäre ein schlechter Lohn für seine Güte und Hilfsbereitschaft
gewesen.
Der Weinkellner trat wieder zu ihnen
und strahlte Ruth an wie eine hochbegabte Schülerin, die soeben ihre Prüfung
mit Glanz bestanden hat. Erneut wurde die Weinkarte studiert, und mit Bedauern
stimmte der Kellner Quin zu, daß man in Anbetracht des jugendlichen Alters der
Dame wohl besser auf den Margaux verzichtete, den er sonst zum Geflügel
vorgeschlagen hätte.
«Aber zum Dessert habe ich einen
vorzüglichen Tokaier, Monsieur – einen Essencia 1905, etwas ganz Besonderes, je
vous assure.»
«Leben Sie zu Hause auch so?» fragte
Ruth, als der Kellner gegangen war. «Ich meine, mit Bediensteten und einem Koch
und einem erstklassigen Weinkeller?»
Er schüttelte den Kopf. «Ich habe
zwar Angestellte und auch einen Weinkeller, aber die Atmosphäre ist anders als
hier. Mein Haus steht hoch oben im nördlichen Teil Englands, nahe der
schottischen Grenze, auf einem Felskap am grauen Meer.»
«Oh.» Das klang nicht sehr
verlockend. «Und wer wohnt dort, wenn Sie nicht da sind? Steht das Haus leer?»
«Eine Tante von mir kümmert sich um
alles. Das heißt, sie ist eigentlich eine Cousine zweiten Grades, aber ich habe
sie immer Tante genannt – sie ist um einiges älter als ich und hat von Natur
aus etwas sehr Tantenhaftes, wenn es das gibt. Meine Eltern starben, als ich
noch sehr klein war. Erst sorgte mein Großvater für mich, und als er ebenfalls
starb, kam sie. Ich bin ihr zu großem Dank verpflichtet. Wenn sie nicht wäre,
könnte ich nicht jederzeit auf und davon gehen, ohne mir Sorgen machen zu
müsen, was aus dem Haus wird.»
«Hatten Sie sie als Kind gern?»
«Sie hat mich in Ruhe gelassen»,
antwortete Quin.
Ruth versuchte stirnrunzelnd, sich
das vorzustellen. Sie war nie in Ruhe gelassen worden – ganz gewiß nicht von
ihrer Mutter und ihrem Vater, aber auch nicht von Tante Hilda und den Dienstmädchen
... nicht einmal von Onkel Mishak, der sie die Namen der Blumen und Bäume
gelehrt hatte. Und was Heini anging ...
«Fanden Sie das schön?» fragte sie.
«In Ruhe gelassen zu werden, meine ich.»
Quin lächelte. «Ich denke, das ist
etwas ausgesprochen Britisches»,
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