Die Morgengabe
einmal
davon wußte, kam Ruth und ihren Eltern nicht. Und doch war es so. Quin hatte in
diesem Jahr wie immer die Aufnahmeformalitäten seinem Stellvertreter Dr.
Felton überlassen. Er selbst hielt sich gar nicht in London auf.
Überzeugt, daß ein Krieg
unvermeidlich war, war er zu einem Marinestützpunkt oben in Schottland gereist,
um zu versuchen, unter Berufung auf den Namen seines gefürchteten Großvaters,
Admiral «Basher» Somerville, bei der Marine unterzukommen. In die Korridore der
Macht einzudringen, war ihm dank seinem Namen relativ leicht gefallen; wieder
aus ihnen zu entkommen, nachdem die Kriegsgefahr sich verzogen hatte, war
schwieriger.
Professor Somerville würde nicht
pünktlich zum Semesteranfang in London zurück sein.
12
«Was soll das heißen, er ist noch nicht zurück? Das
Semester fängt nächste Woche an. Du kannst dir doch so etwas nicht bieten
lassen!»
Lady Plackett war verstimmt. Seit
ihr Mann seinen neuen Posten als Vizekanzler der Universität Thameside
übernommen hatte, hatte sie unter beträchtlichen Mühen angemessene
Veranstaltungen zum Empfang des Lehrkörpers und der Studenten geplant. Ihr
Vorgänger, Lord Charlefont, war unglaublich nachlässig gewesen, und die Lage
des Hauses, das nur durch seine dorischen Säulen und den wilden Wein vom Kunstbau
abgegrenzt war, lud zu jener Art willkürlichen Kommens und Gehens ein, das sie
auf keinen Fall zu dulden gedachte. Sie hatte auf dem gepflasterten Weg, der
vom Haupthof zu ihrer Haustür führte, bereits ein Schild mit der Aufschrift
«Privat» aufstellen lassen und den Hausmeister der Universität angewiesen,
ihren Teil der Flußterrasse mit einem Maschendrahtzaun abzusperren, um ihn von
Studenten freizuhalten, die sich offensichtlich einbildeten, sich überall
niederlassen zu können, um ihr Mittagbrot zu verspeisen.
Die eigene Privatsphäre zu wahren,
war so wichtig wie die Wiederherstellung hoher moralischer Maßstäbe an der
Universität. Studenten, die in aller Öffentlichkeit Händchen hielten oder sich
gar küßten, konnten selbstverständlich nicht geduldet werden. Aber Lady
Plackett wollte auch geben – das
Universitätsleben durch ihre Gastfreundschaft bereichern und das Haus des Vizekanzlers
zu einem Ort machen, an dem gute Gespräche und gute Kinderstube garantiert
waren. Um dies zu verwirklichen, mußte sie jedoch zunächst die Spreu vom Weizen
sondern und sich vom vorhandenen Material ein Bild machen. Zu diesem Zweck
hatte sie für den Semesterbeginn eine Reihe gesellschaftlicher Veranstaltungen
geplant. Zuerst sollten die Professoren zum Sherry gebeten werden, natürlich
mit Namensschildchen, die auch über die Fakultät des Gastes Auskunft gaben,
denn Gesellschaften ohne Namensschildchen brachten niemals den rechten Erfolg;
dann die Dozenten zum Fruchtsaft ... und schließlich, in Gruppen von jeweils
etwa zwanzig, die Studenten zu Schreibspielen.
Als sie jetzt die Namensschildchen
mit der Gästeliste verglich, entdeckte sie neben dem Namen Somerville die
Anmerkung: «Kann leider nicht teilnehmen.»
«Er ist in Schottland», erläuterte
Sir Desmond, ein blasser Mann mit einem jener unscheinbaren Gesichter, die
höchstens einen Eindruck von Durchschnittlichkeit hinterlassen. Seine Berufung
zum Vizekanzler von Thameside verdankte er der Tatsache, daß alle anderen
Kandidaten genug Persönlichkeit besaßen, um sich Feinde geschaffen zu haben.
«Offenbar wollte das Außenministerium ihn für einen Posten beim
Nachrichtendienst haben. Er sollte Geheimcodes knacken oder so etwas.
Da er sich daraufhin den ganzen Krieg in einem Bunker sitzen sah, wollte er
versuchen, bei der Marine unterzukommen. Deshalb ist er nach Schottland
gereist.»
«Ich kann nur hoffen, daß du ein
ernstes Wort mit ihm reden wirst», sagte Lady Plackett.
Sie war größer als ihr Mann, hatte
einen langen Rücken und ein langes, schmales Gesicht mit den engstehenden
blauen Augen der Croft-Ellis'. Nachdem sie mehrere Jahre hindurch die Londoner
Saison mitgemacht hatte, ohne daß, um es einmal so auszudrücken, ein größerer Fisch
angebissen hatte, nahm sie den Antrag des Sohnes eines ganz gewöhnlichen
Wirtschaftsprüfers an und setzte sich zum Ziel, ihm zu einer Karriere zu
verhelfen. Leicht war es nicht gewesen. Desmond konnte, als sie ihn
kennenlernte, seine soziale Herkunft nicht verleugnen, aber sie hatte nicht
locker gelassen, und nun, fünfundzwanzig Jahre später, konnte sie aufrichtig
sagen, daß sie sich nicht mehr schämte, ihn
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