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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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nach Hause mitzubringen.
    «Nein, meine Liebe, das wäre
unklug», widersprach Sir Desmond milde. «Wir brauchen Professor Somerville
dringender als er uns.»
    «Wie meinst du das?»
    «Er ist ein prominenter
Wissenschaftler. Er bekommt immer wieder Angebote aus dem Ausland, und
Cambridge versucht, ihn zurückzuholen, seit er dort Examen gemacht hat.
Charlefont hatte alle Mühe, ihn dazu zu bewegen, den Posten hier anzunehmen,
und Somerville sagte nur unter der Bedingung zu, daß er jederzeit Urlaub für
seine Reisen bekäme. Die Universität hat ihm einiges zu verdanken – aufgrund
seines Rufs ist für die Paläontologie immer Geld da, und die alljährliche
Exkursion mit seinen Studenten auf seinen Landsitz nach Northumberland soll der
Höhepunkt des Studienjahres sein.»
    «Northumberland?» sagte
Lady Plackett scharf. «Wo
denn in Northumberland?»
    Sir Desmond runzelte die Stirn. «Den
Namen habe ich nicht mehr im Kopf. Bow-irgendwas, glaube ich.»
    «Doch nicht ...» Sie war hochrot vor
Erregung – «doch nicht etwa Bowmont?»
    «Doch, richtig. So hieß es.»
    Bow-irgendwas, in der Tat! Nicht zum
erstenmal wurde sich Lady Plackett bewußt, wie einsam man ist, wenn man unter
seinem Stand heiratet. «Du meinst, er ist dieser Somerville? Quinton
Somerville – der Eigentümer von Bowmont? Der Enkel vom alten Barher?»
    Gewiß, sein Vorname sei Quinton,
sagte Sir Desmond und wollte wissen, was denn an Bowmont so bemerkenswert sei.
Doch das war eine Frage, die unmöglich zu beantworten war. Die Leute aus den
richtigen Kreisen wußten, warum Bowmont etwas Besonderes war, und den anderen
war es nicht zu erklären.
    «Ich kenne seine Tante», sagte Lady
Plackett. «Jedenfalls flüchtig. Ich werde ihr schreiben.» Sie sah ihren Mann,
der im Adressenverzeichnis der Professoren und Dozenten blätterte, und fragte
gespannt: «Er ist doch noch unverheiratet, nicht wahr?»
    «Ja, soviel ich weiß.»
    Ohne einen Moment des Zögerns ließ
Lady Plackett das Namensschildchen für Professor Somerville in den Papierkorb
fallen. Dieser Mann hatte in einem Gewühl brötchenvertilgender Leute nichts zu
suchen. Professor Somerville würde zu einem der intimen kleinen Essen kommen,
durch die sie Thameside gesellschaftlichen Glanz zu verleihen gedachte, und in
der kultivierten Ambiance ihres Hauses würde er eine ihm intellektuell und
gesellschaftlich gleichwertige Frau, seine zukünftige Studentin, kennenlernen –
ihre Tochter Verena.
    Die einzige Tochter der Placketts
war dreiundzwanzig Jahre alt und hatte nicht nur das blaue Blut ihrer Mutter
geerbt, sondern auch die Intelligenz ihres Vaters. Von dem Moment an, als sie
im zarten Alter von vier Jahren gezeigt hatte, daß sie lieber mit ihrem Rechengestell
als mit Puppen spielte, war klargewesen, daß Verena zu einer Intellektuellen
heranwachsen würde. Dem großen Dr. Samuel Johnson, Verfasser des berühmten Dictionary
of the English Language, war als Kind von seiner Mutter befohlen worden,
alles, was sie ihn gelehrt hatte, sogleich vor der nächsten Person zu wiederholen, die ihm
begegnete, und sei es auch der Milchmann.
    «Auf die Weise wirst du es immer im
Kopf behalten», hatte sie zu ihrem Sohn gesagt.
    Lady Plackett brauchte ihrer Tochter
keine solchen Verhaltensregeln zu geben. Verena hatte mit der Aufnahme von
Informationen so wenig Probleme wie mit ihrer Wiedergabe. In Indien hatten sie
sie mit einem Heer von Privatlehrern umgeben, und mit neunzehn hatte sie sich
an der europäischen Universität in Haiderabad eingeschrieben. Es war ein
mutiger Schritt für ihre Eltern gewesen, ihr das zu gestatten: Zwar waren
Studenten und Lehrkörper ausschließlich Weiße, aber sie hatten Verena ein
ungewöhnliches Maß an Freiheit zugestehen müssen.
    Verena hatte diese Freiheit nicht
mißbraucht. Ihre Vorliebe hatte den Naturwissenschaften gegolten, und ohne alle
Mühe bestand sie jede Prüfung, der sie sich unterzog, als Beste. Doch als sie
das Vorstudium abgeschlossen hatte, bestand ihre Mutter darauf, sie nach
England vorauszuschicken, um sie von ihren Verwandten aus Rutland, dem
Stammsitz der Croft-Ellis', in die Londoner Gesellschaft einführen zu lassen.
    So gut Lady Placketts Absichten
waren, der Plan wurde kein Erfolg. Verena war in Socken einen Meter achtzig
groß, und in Socken tanzt es sich nun einmal nicht sehr anmutig. Außerdem
machte Verena kein Hehl daraus, daß die hohlköpfigen jungen Männer, über deren
Köpfe sie beim Tanz hinwegsah, sie tödlich langweilten.

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