Die Morgengabe
Studentin. Sie glauben vielleicht, die Tatsache, daß sie ein
hübsches Ding ist und ab und zu Zwiesprache mit dem Schaf hält ...»
«Sie redet mit einem Schaf? Mit was
für einem Schaf?»
«Es wurde uns vom Forschungsinstitut
Cambridge geschickt, und jetzt will man es nicht zurücknehmen.» Er erklärte und
erläuterte und versuchte dabei zu begreifen, wieso der Prof, der am Morgen in
glänzender Stimmung hereinmarschiert war, plötzlich so barsch und gereizt war.
«Das Schaf fühlt sich einsam, und Ruth trägt ihm Gedichte vor. Goethe vor
allem. Wanderers Nachtlied hat es besonders gern – das klingt auf
Deutsch ganz anders, wissen Sie ...» Er bemerkte plötzlich die steinerne Miene
Somervilles und sagte hastig: «Was ich sagen wollte – die Tatsache, daß sie ein
originelles junges Ding ist und sehr – nun ja, emotional, ändert nichts daran,
daß sie ausgezeichnete Arbeit leistet. Gerade auch im Labor, beim Sezieren und
den Versuchen.»
«Das kann schon sein, aber Sie
werden sie an einer anderen Universität unterbringen.»
«Das kann ich nicht. Es gibt keine
Plätze. Die Leute vom University College haben es überall versucht, ehe sie
sich an uns wandten. Und ich muß ehrlich sagen, ich verstehe nicht, was hier
eigentlich los ist», fügte Roger hinzu, allen Respekt in den Wind schlagend.
«In London wimmelt es von Flüchtlingen, denen Sie Arbeit beschafft haben –
denken Sie nur mal an das alte Monstrum, das Sie der Geographischen
Gesellschaft aufgehalst haben, Professor Zinlinsky, der dauernd versucht, den
Frauen unter die Röcke zu schauen! Und als Ihre Tante zur Gartenausstellung in
Chelsea hier war, kam sie auf einen Sprung vorbei und erzählte, in Northumberland
sei es genauso schlimm – da versucht anscheinend irgendein von Ihnen
vermittelter Opernsänger verzweifelt, die Kühe zu melken –, und jetzt wollen
Sie plötzlich eine der besten Studentinnen an die Luft setzen, die wir hier je
hatten. Es ist natürlich noch früh, aber Elke und ich sind ziemlich sicher, daß
sie in den Prüfungen sogar Verena Plackett schlagen kann. Sie ist jedenfalls
die einzige, bei der die Möglichkeit besteht.»
«Und wer ist Verena Plackett?»
«Die Tochter des Vizekanzlers. Ist
sie nicht nach der Vorlesung zu Ihnen gekommen, um Ihnen für Ihren
interessanten Vortrag zu danken?»
«Ach doch, ja», antwortete Quin
desinteressiert. «Hören Sie, Roger, es tut mir leid, aber in dieser
Angelegenheit lasse ich nicht mit mir handeln. O'Malley unten in Tonbridge wird
sie bestimmt nehmen. Er schuldet mir sowieso noch einen Gefallen.»
«Mein Gott, da muß sie eine Stunde
mit der Eisenbahn fahren! Sie spart doch für Heinis Klavier und ...»
«Ach was, tatsächlich? Und wer, zum
Teufel, ist Heini, wenn man fragen darf?»
«Ihr Freund. Er sitzt noch in
Budapest, aber er wird bald auch hierher kommen. Wenn Sie mich fragen, ich
finde ja, er sollte sich sein Klavier selbst beschaffen. Seinetwegen verzichtet
sie aufs Mittagessen und ...»
«Lieber Himmel, Sie haben sich wohl
in die Kleine verguckt?»
Diesmal hatte er Felton ernstlich
gekränkt. Die Augen hinter den Brillengläsern blitzten zornig. «Ich habe noch
nie etwas mit einer Studentin angefangen, und ich werde es auch nie tun; das
müßten Sie eigentlich wissen. Selbst wenn ich nicht verheiratet wäre, würde ich
mir so etwas nicht einfallen lassen. Leute, die ihre Stellung dazu ausnützen,
sich an Studentinnen heranzumachen, stehen bei mir ganz unten.»
«Ja, ja, das weiß ich doch. Tut mir
leid, ich hätte das nicht sagen sollen. Aber schauen Sie, ich bin mit den
Bergers recht gut bekannt. Ich habe einmal einen Sommer bei ihnen verbracht,
als Ruth noch ein Kind war. Es geht nicht, daß sie bei mir studiert.»
Felton atmete auf. «Ach, wenn es nur
das ist ... Du lieber Gott, wen interessiert denn das?»
«Mich.»
«Sie fürchten wohl, Sie könnten ihr
in den Prüfungen zu gute Noten geben, aber die Wahrscheinlichkeit ist doch nun
wahrhaftig äußerst gering», sagte Felton ironisch. «Sie werden voraussichtlich
nicht einmal hier sein, wenn es ans Benoten geht.»
«Gut, da haben Sie nicht unrecht.
Aber ...»
«Sie tut uns gut», sagte Felton mit
Gefühl. «Sie ist so dankbar dafür, daß sie überhaupt studieren kann. Sie bringt
den anderen zu Bewußtsein, was für ein Privileg es ist, an einer Universität
arbeiten zu können. Sie wissen doch selbst, wie zynisch diese jungen Leute oft
sind, wie sie über alles murren. Und wir wahrscheinlich genauso. Und
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