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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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abgeschnitten
hatte. Offensichtlich hatte sie mit Regen gerechnet, denn er konnte den Zopf
unter ihrem Mantel verschwinden sehen und mußte an das Museum in Wien denken,
an ihr tropfnasses Haar, als er sie zu ihrer Hochzeit abgeholt hatte.
    Diese Gedanken, wenn es wirklich
bewußte Gedanken waren, nahmen nur wenige Sekunden in Anspruch, ehe sie von
einem weiteren, ebenso flüchtigen abgelöst wurden, der Frage nämlich, wieso das
University College seine Studenten zu seiner Vorlesung schickte. Nachdem er
sich vorgenommen hatte, das in Zukunft zu unterbinden, ergriff er ein Stück
Kreide, trat an die Tafel und begann.
    Die folgende Stunde vergaß Ruth nie.
Wenn jemand ihr gesagt hätte, daß sie einem Vortrag über Leitfossilien, die
kennzeichnend für bestimmte geologische Schichten waren und zur Altersbestimmung
herangezogen wurden, so gebannt folgen würde wie einer Gute-Nacht-Geschichte –
ihn so aufregend, faszinierend und manchmal komisch finden würde wie jedes
Märchen –, so hätte sie dem Betreffenden kaum geglaubt.
    Das Thema des Vortrags war hoch
wissenschaftlich. Quin präsentierte eine Neueinschätzung der
von Rowe geleisteten Arbeit über die englische Kreidezeit und brachte sie in
Bezug zu Darwins Theorien und den neuen Ideen Julian Huxleys. Aber während er
sprach – ohne je die Stimme zu erheben, seine Worte nur selten mit einer Geste
seiner ausdrucksvollen Hände unterstreichend –, empfand sie einen beinahe
körperlichen Kontakt. Es war, als stünde er hinter ihr und stieße sie vorwärts,
der Schlußfolgerung entgegen, die er gleich erreichen würde, so daß sie dachte:
Ja – ja, natürlich, so muß es sein.
    Rund um Ruth herum folgten die
anderen dem Vortrag mit gleicher Faszination. Sam hatte seinen Füller aus der
Hand gelegt; nur wenige Studenten machten sich mehr als gelegentliche Notizen,
weil keiner auch nur ein Wort überhören wollte und weil sie wußten, daß sie
danach lesen und lesen würden und irgendwie sogar die nötigen Reisen
unternehmen ... daß sie Teil des Abenteuers werden würden, das sich dort auf
dem Podium für sie auftat. Nur Verena schrieb unablässig mit ihrer Goldfeder –
schrieb und schrieb und schrieb.
    Irgendwann in der Mitte seines
Vortrags machte Quin eine kurze Pause, fuhr sich mit der für ihn
charakteristischen Handbewegung, die ihm selbst gar nicht bewußt war, durch das
Haar, und sein Blick fiel erneut auf Ruth. Sie hatte ihre Zurückhaltung
aufgegeben und saß gespannt vorgebeugt, den Zeigefinger quer über dem Mund, in
der, wie er sich erinnerte, für sie typischen Haltung, wenn sie aufmerksam
zuhörte. Auch ihr Haar hatte sich die Unterdrückung nicht länger gefallen
lassen: eine Locke hatte sich aus dem strengen Zopf gelöst und ringelte sich um
ihren Kragen.
    Er richtete seinen Blick wieder auf
das Papier, das vor ihm lag, und setzte seinen Vortrag fort. Genau fünf Minuten
vor der vollen Stunde begann er mit der Rekapitulierung, präsentierte ihnen
noch einmal die ungelöste Kontroverse und machte Schluß.
    Er war noch keine drei Schritte
gegangen, da wurde er schon umringt. Studenten wollten ihn begrüßen; der
rotgesichtige Colonel erinnerte ihn daran, daß sie sich in Simla begegnet
waren; Hausfrauen warteten schüchtern im Hintergrund.
    Verena ließ sich Zeit. Sie wollte
nicht in der Menge untergehen. Erst als Quin Somerville endlich den Weg zur Tür
nahm, ging sie mit wenigen großen Schritten auf ihn zu und trat ihm in den Weg,
um ihm das Erfreuliche mitzuteilen.
    «Ich bin
Verena Plackett», sagte sie.
    «Wie soll ich das verstehen, Sie haben sie aufgenommen?»
    Roger Felton seufzte. Vor zwei
Stunden war er noch so froh gewesen, den Professor zu sehen. Somervilles
Rückkehr hatte auf alle in der Abteilung wie ein frischer Wind der Zuversicht
und der Unternehmungslust gewirkt. Jetzt aber fühlte Felton sich gedrückt und
zu Unrecht zurechtgewiesen.
    «Ich habe Ihnen doch gesagt – Sir»,
begann er, und Quin runzelte die Stirn. Das «Sir» bedeutete, daß er Roger
härter angefaßt hatte als beabsichtigt. «Am University College hatte man ihren
Platz weggegeben. Als sie sich dann doch noch meldete, haben die Leute unter
anderem bei uns angerufen, um zu fragen, ob wir sie aufnehmen könnten. Ich
dachte mir, wir würden schon noch ein Plätzchen für sie finden, zumal ich
wußte, daß Sie ganz dafür sind, Flüchtlinge wenn irgend möglich aufzunehmen.»
    «Aber nicht Ruth Berger. Sie muß
weg.»
    «Warum denn? Sie ist eine
hervorragende

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