Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
Vom Netzwerk:
direkt – aber Mrs.
Felton war hier, um ihn abzuholen, und er hatte sich verspätet, und da sind
wir ins Reden gekommen. Ich bin nicht so reserviert wie die Engländer, wissen
Sie. Gut, unsere Heirat ist ein Geheimnis, das war so ausgemacht, und das ist klar. Aber sonst ...
Meine Großmutter, die Ziegenhirtin, war auch immer offen und gesprächig. Sie
hat zum Beispiel ihre Strümpfe heruntergerollt und gesagt: < Schauen Sie
mal! > , und dann mußte man sich ihre Krampfadern ansehen. Sie fragte nicht
erst, ob man sie sehen wollte; sie mußte sie einfach herzeigen. Und meine
jüdische Seite hat für Distanz sowieso nicht viel übrig. Bei Ihnen ist das
anders, weil Sie Engländer sind und aus der Oberklasse, und Verena Plackett
studiert extra Paläontologie, damit sie Sie heiraten kann, wenn wir geschieden
sind.»
    «Reden Sie keinen Quatsch, Ruth!»
fuhr Quin sie mit einer ungeduldigen Geste an. «Lassen Sie uns jetzt lieber
darüber nachdenken ...»
    «Es ist kein Quatsch. Sie hat sich
für das Abendessen heute extra ein neues Kleid gekauft, weil Sie kommen. Es ist
aus metallblauem Taft und hat Puffärmel. Ich weiß es, weil das Dienstmädchen
von Placketts die Nichte vom Pförtner ist, und er hat's mir erzählt. Sie ist
natürlich sehr groß, aber Sie könnten ja einen Bürstenschnitt tragen und ...»
    Quin zog sein Taschentuch heraus und
wischte sich die Stirn. «Ruth, es tut mir leid. Ich weiß, Sie haben sich hier
schon eingelebt ...»
    «Ja, das habe ich!» rief sie erregt.
«Es ist so schön hier. Dr. Sonderstrom hat mir ihre Wanzeneier gezeigt. Sie
können sich nicht vorstellen, wie niedlich sie sind, mit einem kleinen Käppchen
an einem Ende, und durch die Schale kann man die Augen der Kleinen sehen. Und
ich liebe den Fluß und den Walnußbaum ...»
    «Und das Schaf», warf Quin ein.
    «Ja, das Schaf auch. Aber am schönsten
war Ihre Vorlesung heute morgen. Was ich da alles begriffen habe! Nur mit dem,
was Sie über Hackenstreicher gesagt haben, kann ich nicht ganz übereinstimmen.
Es könnte doch sein, daß er absolut aufrichtig war, als er schrieb ...»
    «Ach, glauben Sie?» meinte Quin nicht im geringsten
erfreut. «Sie halten es für möglich, daß ein Mann, der absichtlich das
Beweismaterial fälscht, um eine vorgefaßte Hypothese zu stützen, ernst zu
nehmen ist?»
    «Wenn es wirklich Absicht war. Mein
Vater hatte aber einen Aufsatz, in dem stand, daß der Schädel, den man
Hackenstreicher zeigte, von einer weit tieferen Stufe stammen könnte und daß es
dann verständlich wäre, daß er zu den Schlußfolgerungen gelangte, die er
veröffentlicht hat.»
    «Ja, den Aufsatz habe ich gelesen,
aber sehen Sie denn nicht ...» Obwohl Quin versucht war, die Diskussion
weiterzuverfolgen, zwang er sich, seine Aufmerksamkeit wieder der Aufgabe zuzuwenden,
die er jetzt zu erledigen hatte. Daß Ruth eine interessante Studentin gewesen
wäre, daran gab es keinen Zweifel.
    «Schauen Sie, Ruth, es hat keinen
Sinn, daß wir die Sache weiter hinausschieben. Ich werde O'Malley anrufen und
Sie nach Tonbridge versetzen lassen. Und bis dahin kommen Sie am besten nicht
mehr zu den Lehrveranstaltungen hier.»
    Sie hatte ihm den Rücken zugewandt
und knotete zerstreut den Schal um Daphnes Hals. In der andauernden Stille
wuchs Quins Unbehagen. Er erinnerte sich plötzlich des Kindes am Grundlsee, das
Keats deklamiert hatte ... erinnerte sich, wie sie selbst im Museum versucht
hatte, sich heimisch zu fühlen. Und nun vertrieb er sie von neuem.
    Doch als sie sich herumdrehte, sah
er nicht das traurige Geschöpf seiner Vorstellung, nicht Ruth in Tränen im
Kornfeld in der Fremde. Ihr Kopf war hocherhoben, ihr Gesicht zeigte
hartnäckige Entschlossenheit, und einen Moment lang glich sie der primitiven,
kämpferischen Hominidenfrau, neben der sie stand.
    «Ich kann Sie nicht daran hindern,
mich von hier wegzuschicken. Sie haben ja hier eine Stellung wie ein Gott. Das
habe ich schon gemerkt, bevor Sie kamen. Aber Sie können mich nicht zwingen,
nach Tonbridge zu gehen. Ich wollte sowieso nicht studieren, sondern arbeiten
und meine Familie unterstützen. Erst Sie haben gesagt, ich solle mein
Studium abschließen. Als ich dann dachte, Sie wollten, daß ich hierher komme,
war ich so ...» Sie brach ab und schneuzte sich. «Aber woanders fange ich nicht
noch einmal an. Nach Tonbridge gehe ich bestimmt nicht.»
    «Und wie Sie gehen!» fuhr er sie
wütend an. «Sie werden nach Tonbridge gehen und einen anständigen Abschluß
machen und

Weitere Kostenlose Bücher