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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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...»
    «Nein, das werde ich nicht tun. Ich
suche mir eine Arbeit, die bestbezahlte Arbeit, die ich finden kann. Wenn Sie
mir erlaubt hätten, hierzubleiben, hätte ich alles getan, was Sie von mir
verlangt hätten. Da wären Sie mein Professor gewesen, und das wäre in Ordnung
gewesen. Aber jetzt haben Sie kein Recht, mich herumzukommandieren. Jetzt bin
ich frei.»
    Quin sprang aus seinem Sessel auf.
«Merken Sie sich eines: Selbst wenn ich nicht Ihr Professor bin, so bin ich
doch immer noch Ihr gesetzlicher Ehemann, und ich kann Ihnen befehlen, nach Tonbridge
...» Der Satz blieb unvollendet, als Quin sich bewußt wurde, daß dies die Worte
Basher Somervilles waren, die da aus seinem eigenen Mund sprangen.
    Ruth nickte nur kurz. «Aha», sagte
sie. «Sie haben Nietzsche gelesen: < Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die
Peitsche nicht. > »
    Quin hatte endgültig genug. Er
rannte zur Tür und hielt sie auf. «Gehen Sie jetzt!» sagte er. «Und zwar
schleunigst.»
    Lady Plackett war stolz auf die Gästeliste zu ihrem intimen
kleinen Abendessen: ein anerkannter Ichthyologe, soeben von einer Expedition
zur Erforschung der Knochenfische am Titicacasee zurückgekehrt; ein
Kunsthistoriker, der sich als Fachmann für russische Ikonen international einen
Namen gemacht hatte; ein Philologe des Britischen Museums, der sieben
chinesische Dialekte sprach; und Simeon LeClerque, der für seine Biographie
Bischof Berkeleys einen Literaturpreis erhalten hatte. Aber der Ehrengast, der
Mann, den sie neben Verena gesetzt hatte, war natürlich Professor Somerville,
den sie bereits am Morgen dieses Tages in Thameside willkommen geheißen hatte.
    Um sechs Uhr vergewisserte sich Lady
Plackest ein letztes Mal, daß in der Küche alles reibungslos lief und daß die
Dienstmädchen funktionierten, dann ging sie nach oben, um mit ihrer Tochter zu
sprechen.
    Verena, die etwas früher ein Bad
genommen hatte, saß jetzt im Morgenrock an ihrem mit Bücherstapeln beladenen
Schreibtisch.
    «Wie kommst du zurecht, Kind?»
fragte Lady Plackett fürsorg lich, denn sie war immer wieder gerührt, mit
welcher Gewissenhaftigkeit sich Verena auf die Gäste des Hauses vorzubereiten
pflegte.
    «Ich bin fast fertig, Mama. Ich habe
es sogar geschafft, mir Professor Somervilles ersten Aufsatz zu besorgen – den
über die Dinosaurier-Lagerstätten von Tendaguru, und ich habe natürlich alle
seine Bücher gelesen. Aber wenn ich auf der anderen Seite Sir Harold habe, muß
ich meine Ichthyologiekenntnisse noch ein wenig auffrischen. Er ist gerade aus
Südamerika zurückgekommen, nicht wahr?»
    «Ja – vom Titicacasee. Nur denk
daran, Kind – es sind die Knochenfische.»
    Sir Harold war verheiratet, aber
wirklich ein herausragender Wissenschaftler, und es war nur recht, daß Verena
sich auf das Gespräch mit ihm vorbereitete. «Mit den russischen Ikonen werden
wir, glaube ich, keine Schwierigkeiten haben – Professor Frank soll sehr
redselig sein. Wenn du nur die Schlüsselnamen parat hast ...»
    «Oh, die habe ich», versicherte
Verena gelassen. «Andrej Rubljew ... Eitempera ...» Sie warf einen kurzen
Blick auf ihre Aufzeichnungen. «Die Wirkung des Manierismus, die sich im siebzehnten
Jahrhundert zeigte ...»
    Lady Plackett, die eigentlich keine
überschwengliche Person war, gab ihrer Tochter einen Kuß auf die Wange. «Auf
dich kann ich mich immer verlassen.» An der Tür blieb sie stehen. «Professor
Somerville solltest du vielleicht auch ein paar Fragen nach Bowmont stellen –
über die neue Forstverordnung vielleicht. Ich werde selbstverständlich
erwähnen, daß ich seine Tante kenne. Und mach dir wegen der chinesischen
Phonetik kein Kopfzerbrechen, Liebes. Mr. Fellowes war nur ein Lückenbüßer– er
ist dieser alte Professor vom Britischen Museum, und er sitzt genau am anderen
Ende der Tafel.»
    Wieder allein, widmete sich Verena
den Knochenfischen, ehe sie noch einmal die Veröffentlichungen Professor
Somervilles durchging. Auf der intellektuellen Seite würde er nichts an ihr
bemängeln können, das war sicher. Nun war es zeit für sie, sich der anderen
Seite ihrer Persönlichkeit anzunehmen: nicht der Wissenschaftlerin, sondern der Frau. Sie legte den
Morgenrock ab und schlüpfte in das blaue Taftkleid, das Ruth so genau
beschrieben hatte. Dann nahm sie die Lockenwickler aus ihrem Haar.
    «Ich fand das absolut faszinierend!» sagte Verena und richtete ihren
zwingenden Blick auf Professor Somerville. «Ihre Auffassung vom Wert

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