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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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wohl richtig»,
gestand Verena ihm zu. «Aber sie trägt ihm auf Deutsch Gedichte vor.»
    «Was für Gedichte?» fragte der
Berkeley-Biograph.
    «Goethe», antwortete Quin kurz. Die
Schafsaga begann ihm auf die Nerven zu fallen. « Wanderers Nachtlied.»
    Der Philologe war angetan. «Eine
ausgezeichnete Wahl. Auch wenn man vielleicht einen der pastoralen Lyriker des
achtzehnten Jahrhunderts erwartet hätte. Zum Beispiel Matthias Claudius.»
    Darauf folgte eine erstaunlich
lebhafte Diskussion über die Frage, welche Art von Lyrik in deutscher Sprache
Haus- und Hoftieren wohl am ehesten entsprechen würde, und obwohl dies genau
die Art gelehrten Geplänkels war, das Lady Plackett nur zu gern förderte, hörte
sie mit tief gerunzelter Stirn zu.
    «War Goethe nicht der Mann, der sich
dauernd in irgendeine Charlotte verliebt hat?» fragte die reizend dumme Ehefrau
des Biographen.
    Quin wandte sich ihr mit
Erleichterung zu. «Richtig. Er hat das alles in einem Roman mit dem Titel Die
Leiden des jungen Werthers verarbeitet, in dem der Held so unsterblich in
eine Charlotte verliebt ist, daß er sich am Ende das Leben nimmt. Thackeray hat
ein Gedicht darüber geschrieben.»
    «War es
gut?»
    «Sehr gut»,
antwortete Quin. «Es fängt so an:
    < Werther faßt' ne Lieb' zu Charlotte
    Die ging über alle Worte hinaus:
    Er sah die Schöne das erstemal
    beim Brotestreichen in ihrem Haus. >
    Und am Schluß trägt man ihn < als Leiche
hinaus > .»
    Verena, die diesen Abstieg ins
Frivole mit unmutig gekrauster Stirn verfolgte, machte einen letzten Versuch,
das Gespräch wieder auf ein Thema zu bringen, das ihr am Herzen lag.
    «Wann wird denn Miss Berger nun
eigentlich gehen?» fragte sie. «Das ist noch nicht entschieden.»
    Worauf er sich wieder Mrs. LeClerque
zuwandte, die ihm nun von einer Freundin erzählte, die sich nicht weniger als
dreimal mit Männern namens Henry verlobt hatte, deren jeder sich leider als zum
Ehemann ungeeignet entpuppte. Verena beschloß resigniert, sich ihrem anderen
Nachbarn zu widmen.
    «Ach, sagen Sie, haben Sie vor, Ihre
Forschungsarbeit über die Knochenfische hier in England weiterzuverfolgen?»
fragte sie.
    Doch für dieses eine Mal hatte ihre
Mutter sie im Stich gelassen. Die unerwartete Ankunft des Musikologen hatte
eine Änderung der Sitzordnung erforderlich gemacht. Verständnislos und einigermaßen
verblüfft starrte der Ikonenexperte sie an.
    Quin hatte die Gewohnheit, in einem großen Crossley Tourenwagen
mit Messinglampen und einer dröhnenden Hupe nach Thameside zu fahren. Am Tag
nach dem Abendessen bei den Placketts empfing ihn, als er den Wagen unter dem
Torbogen parkte, nicht wie gewohnt ein ganzer Haufen junger Leute, die ihm
guten Morgen wünschten, sondern ein Fähnlein von zwei durchgefroren aussehenden
Aufrechten mit einem Transparent, auf dem die Worte standen: RUTH BERGERS
AUSSCHLUSS IST UNGERECHT!
    Sobald er in seinem Zimmer war,
griff er zum Telefon. «Verbinden Sie mich mit O'Malley in Tonbridge, bitte,
Hazel.»
    «In Ordnung, Professor. Sir Lawrence
Dempster hat übrigens eben angerufen. Er bittet Sie, sobald wie möglich
zurückzurufen.»
    «Gut. Erledigen wir das zuerst.»
    Als Quin das Gespräch mit dem
Direktor der Geophysikalischen Gesellschaft beendet hatte, war es zu spät, O'Malley
noch anzurufen, der um diese Zeit bereits unterrichtete. Quin widmete sich
also seiner Korrespondenz, bis es Zeit war, ins Dozentenzimmer zu gehen, wo
Elke Sonderstrom, mit ihren prächtigen Zähnen ein Cremeschnittchen zermalmend,
ein Thema zur Sprache brachte, das er für erledigt erklärt hatte.
    «Sie hat mir nach nicht einmal einer
Woche eine erstklassige Arbeit geschrieben. Und das in einer Sprache, die nicht
ihre Muttersprache ist.»
    «Mir ist nicht bekannt, daß Miss
Berger mit dem Englischen Schwierigkeiten hat», versetzte Quin. «Sie ist
schließlich jahrelang von einer englischen Gouvernante unterrichtet worden.»
    Sein nächster Versuch, in Tonbridge
anzurufen, wurde von Hazel verhindert, die ihm meldete, daß eine Abordnung von
Studenten ihn zu sehen wünschte.
    «Aber ich habe allerhöchstens zehn
Minuten Zeit», sagte er verdrossen. «Um elf fängt meine Vorlesung an.»
    Die Studenten kamen im Gänsemarsch
herein. Er erkannte Sam und die verschüchterte kleine Tochter des Pillendrehers
und den massigen Waliser mit den Blumenkohlohren – lauter Studenten im dritten
Jahr, die er wegen seines ausgedehnten Aufenthalts in Indien nicht so gut
kannte, wie er sie eigentlich hätte

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