Die Morgengabe
kennen müssen. Aber es waren auch andere
Studenten in der Gruppe; solche, die gar nicht seiner Abteilung angehörten.
Sam, wie immer in seinen Schal
gewickelt, ergriff das Wort. «Wir sind wegen Miss Berger hier, Sir. Wir sind
der Ansicht, daß sie nicht ausgeschlossen werden darf.» Es kostete ihn einiges,
diese Rede zu halten; bis zu diesem Moment war Professor Somerville ja sein
Idol gewesen. «Wir sind der Meinung, daß der Ausschluß eine Ungerechtigkeit
ist. Miss Berger wird für irgend etwas bestraft, das sie gar nicht verbrochen
hat. In Anbetracht dessen, was das jüdische Volk ...»
«Danke, Sie brauchen mich nicht an
das Schicksal des jüdischen Volkes zu erinnern.»
«Nein.» Sam schluckte. «Aber wir
sehen nicht ein, warum sie nur wegen irgendwelcher Formalitäten ausgeschlossen
werden soll.»
«Miss Berger wird nicht
ausgeschlossen. Sie wird lediglich an eine andere Universität überwiesen.»
«Richtig. Wie die Juden und die
Zigeuner und die Freimaurer und die Sozialisten in Deutschland in Lager
überwiesen werden», erwiderte Sam tapfer.
«Und dabei will sie gar nicht weg
von hier», stammelte Pilly nervös. «Es gefällt ihr hier, und sie hilft mir. Sie
kann einem Dinge begreiflich machen.»
«Das ist wahr, Sir.» Ein großer
blonder Mann, den Quin nicht kannte, sprach aus der hinteren Reihe. «Ich bin
Germanist und – nun, ich muß ehrlich sagen, ich hatte kaum noch Lust, mich mit
der deutschen Sprache zu beschäftigen, nachdem ich im Radio nichts anderes mehr
gehört hatte als Hitlers giftige Tiraden. Aber dann habe ich sie in der
Bibliothek getroffen und – also, wenn sie die Nazis vergessen kann ...»
Schweigend betrachtete Quin die
kleine Abordnung. Dann sagte er trocken: «Sie scheinen einen von Miss Bergers
größten Bewunderern vergessen zu haben. Wieso haben Sie das Schaf nicht
mitgebracht?»
Als Quin später vom Mittagessen zurückkam, fand er in seinem Zimmer
Besuch vor.
«Verzeihen Sie mir, daß ich Sie
störe», sagte Kurt Berger und stand aus seinem Sessel auf.
«Aber das ist doch keine Störung,
Sir! Es ist mir eine Freude, Sie zu sehen.»
Die Veränderung allerdings, die mit
Berger vorgegangen war, erschreckte Quin. Professor Berger war ein großer,
aufrechter Mann mit einem stolzen und würdevollen Gesicht gewesen. Jetzt war er
hager und verfallen, und in seiner Stimme lag eine tiefe Müdigkeit.
«Ist es Ihnen recht, wenn wir
deutsch sprechen?»
«Selbstverständlich.» Quin schloß
die Tür.
«Ich bin wegen meiner Tochter hier.
Ruths wegen. Ich habe den Eindruck, es hat Ärger gegeben, und ich würde gern
wissen, ob ich etwas tun kann, um ihn zu bereinigen.»
Quin nahm ein Lineal zur Hand und
drehte es unablässig hin und her, während er sprach. «Sie wird Ihnen berichtet
haben, daß ich mich bemühe, ihr einen Studienplatz an der Universität Tonbridge
in Kent zu beschaffen.»
«Aha. So ist das. Nein, das wußte
ich nicht. Mir hat sie nur erzählt, daß sie hier nicht bleiben kann.»
«Nun, hier an der Universität ist es
ein offenes Geheimnis.»
«Darf ich fragen, warum sie hier nicht bleiben kann?»
Bergers Ton war trocken und
distanziert, aber die tiefe Bekümmerung hinter seinen Worten war deutlich zu
hören, und Quin, der sich stets als Schüler Bergers gesehen hatte, wurde immer
unbehaglicher zumute.
«Ich hielt es für unangebracht, eine
junge Dame zu unterrichten, mit deren Familie ich so gut bekannt bin. Das würde
Ihre Tochter möglicherweise der Beschuldigung der Begünstigung aussetzen.»
Kurt Berger strich über seinen
schwarzen Hut. «Wirklich? Ich muß sagen, wenn ich es abgelehnt hätte, die
Kinder der Leute zu unterrichten, die mir in Wien gut bekannt waren, so hätte
es bei meinen Vorlesungen viele leere Plätze gegeben.»
«Möglich. Aber an britischen
Universitäten geht es anders zu. Da gibt es mehr Klatsch. Sie sind kleiner.»
«Professor Somerville, bitte sagen
Sie mir die Wahrheit», bat Kurt Berger, und erst als Quin hörte, wie dieser
Mann, der fast dreißig Jahre älter war als er, ihn mit seinem Titel ansprach,
erkannte er, wie tief verletzt der Mann war. «Hat Ruth sich etwas zuschulden
kommen lassen? Ist sie den Anforderungen hier nicht gewachsen? Wir haben uns
bemüht, ihr eine gute Bildung mitzugeben, aber ...»
«Nein, aber nein! Ruth ist eine
hervorragende Studentin.»
«Was ist es dann? Ihr Verhalten? Finden Sie sie
vielleicht zu direkt? Zu keck? Sie ist das
Universitätsmilieu gewohnt, da mag es scheinen, daß es ihr
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