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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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der
Lumbalkurvenmessungen zur Erkennung von Hominiden erscheint mir absolut
überzeugend. Sie haben das in der Fußnote von Kapitel dreizehn so einleuchtend
erklärt.»
    Quin war angesichts dieses seltenen
Phänomens, eines Lesers, der auch die Fußnoten las, bereit, beeindruckt zu
sein. «Es ist immer noch recht spekulativ, aber interessanterweise hat sich in
Java eine gewisse Bestätigung gefunden. Die amerikanische Expedition ...»
    Verena schlug einen Moment
erschrocken die Augen nieder. Sie hatte keine Zeit gehabt, über Java
nachzulesen.
    «Wie ich höre, sind Sie soeben in
Wien geehrt worden», sagte sie, das Gespräch wieder in sicherere Bahnen
lenkend. «Ich kann mir vorstellen, daß das ein hochinteressanter Aufenthalt war.
Hitler scheint bei der deutschen Wirtschaft ja wahre Wunder gewirkt zu haben.»
    «Ja.» Das von Kräuselfältchen
begleitete Lächeln, das sie so bezaubert hatte, war erloschen. «Er hat auch
noch auf anderen Gebieten wahre Wunder gewirkt. So hat er es beispielsweise im
Handumdrehen geschafft, dreihundert Jahre deutscher Kultur von Grund auf zu
vernichten.»
    «Oh.» Doch so leicht ließ Verena
sich nicht bange machen. Es dauerte nur einen Moment, dann hatte sie ihre
Fassung wiedergefunden. «Wie sind Sie eigentlich auf den Gedanken gekommen, in
Bowmont ein praktisches Seminar anzubieten, Professor Somerville?»
    «Nun, die Fauna an dieser Küste ist
erstaunlich vielgestaltig, und die Nordsee ist dort in den Buchten recht zahm.
Außerdem befinden wir uns direkt gegenüber den Farne-Inseln, wo die
Ornithologen schon seit geraumer Zeit sehr interessante Arbeit mit Brutkolonien
leisten – kurz, der Ort eignet sich ideal dafür, auf verschiedenen
Wissensgebieten praktische Erfahrung zu sammeln.»
    «Auch auf
Ihrem Gebiet? Sie werden auch dort sein?»
    «Aber natürlich. Ich helfe Dr.
Felton bei der meeresbiologischen Arbeit, aber ich werde auch Ausflüge zu den
Kohleflözen unternehmen und hinunter nach Staithes in Yorkshire.»
    «Und die Studenten wohnen getrennt –
ich meine, nicht im Haus?»
    «Das ist richtig. Ich habe ein
ehemaliges Bootshaus und einige Fischerhütten am Strand zu diesem Zweck umbauen
lassen. Meine Tante ist nicht mehr die Jüngste; ich könnte es ihr nicht
zumuten, die Studenten im Haus aufzunehmen. Außerdem sind die jungen Leute
lieber unabhängig.»
    Verena runzelte die Stirn. Sie sah
Probleme voraus. Aber da der Professor Anstalten machte, sich seiner Nachbarin
zur Linken zuzuwenden, der unerwartet hübschen Mrs. LeClerque, Ehefrau des
Berkeley-Biographen, stimmte sie eilig eine Lobeshymne über die Vorlesung
dieses Morgens an.
    «Ihre Analyse der
Fehlinterpretationen Dr. Hackenstreichers fand ich faszinierend. Es scheint
tatsächlich keinen Zweifel zu geben, daß der Mann sich von A bis Z etwas
vorgemacht hat.»
    «Freut mich, daß Sie es so sehen»,
sagte Quin, während ein verfroren aussehendes Mädchen ihm Salzkartoffeln
reichte. «Miss Berger fand meine Auffassung nicht zwingend.»
    «Ach. Aber
sie verläßt uns ja, nicht wahr?»
    «Ja.»
    «Meine Mutter war froh, das zu hören»,
sagte Verena mit einem Blick zu Lady Plackett, die sich mit einem unerwarteten,
in letzter Minute eingetroffenen Gast unterhielt, einem Musikologen, der eben
aus New York zurückgekehrt war und dessen Zusage auf die Einladung in der Post
verloren gegangen war. «Ich glaube, sie ist der Meinung, daß es einfach zu
viele sind.»
    «Zu viele?»
Quin zog eine Augenbraue hoch.
    «Ach, Sie wissen schon – Ausländer –
Flüchtlinge. Sie findet, die Studienplätze sollten unseren eigenen
Staatsbürgern vorbehalten bleiben.»
    Lady Plackett, die den Erfolg ihrer
Tochter bei Professor Somerville mit Genugtuung beobachtet hatte, mißachtete
jetzt das Protokoll, um über den Tisch hinweg zu sprechen.
    «Nun, natürlich wagt keiner, etwas
zu sagen», bemerkte sie, «aber man kann sich des Gefühls nicht erwehren, daß
sie hier allmählich das Regiment übernehmen. Natürlich kann man auch nicht
rückhaltlos billigen, was Hitler da macht.»
    «Nein», antwortete Quin. «Es gehörte
schon einiges dazu, das zu billigen.»
    «Aber sie ist in jedem Fall ein
ziemlich merkwürdiges Mädchen», warf Verena ein. «Ich meine, sie führt
Gespräche mit einem Schaf. Das hat doch etwas Schrulliges, ganz
Unwissenschaftliches.»
    «Jesus hat auch mit ihnen
gesprochen», bemerkte der Philologe aus dem Britischen Museum, ein alter Mann
mit weißem Bart, der unerwartet energisch sprach.
    «Hm, ja, das ist

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