Die Morgengabe
nach Wien kam.»
«Spielt es denn dann eine so große
Rolle, wo sie studiert? Oder ob sie überhaupt studiert?»
«Vielleicht messe ich dem Wissen und
der Bildung zuviel Bedeutung bei. Vielleicht bin ich auch einer jener Väter,
die meinen, für ihre Tochter sei keiner gut genug. Heini ist ein begabter
Junge, aber mir wäre es lieber gewesen, sie hätte eine Wahl gehabt.» Er
wechselte abrupt das Thema. «Eines steht fest, nach Tonbridge wird Ruth nicht
gehen. Sie war den ganzen Morgen auf dem Arbeitsamt, und jetzt sitzt sie zu
Hause und schreibt Bewerbungen und versucht, nicht zu weinen.»
«Ich bin sicher, sie wird zur
Einsicht kommen.»
«Gestatten Sie mir zu sagen, daß ich
meine Tochter kenne», versetzte Berger mit Würde. Er griff zu seinem
Spazierstock. «Tja, Sie müssen tun, was Sie für richtig halten. Mir wäre es
auch nicht recht gewesen, wenn mir jemand hätte sagen wollen, wie ich meine
Abteilung führen soll. Ich reise für einige Wochen nach Manchester und hatte
gehofft ...»
«Ach ja!» Quin ging froh und flink
auf den Themawechsel ein. «Das Institut wird Ihnen gefallen. Feldberg ist ein
großartiger Mensch – aber lassen Sie sich von dem knausrigen Buchhalter ja
nicht um ihr rechtmäßiges Honorar bringen. Es gibt extra einen
gutausgestatteten Fonds für Klassifizierungsarbeit.»
«Ach, ich kann mich gar nicht
erinnern, meinen Ruf an das Institut erwähnt zu haben», sagte Kurt Berger mit
strenger Miene. «Und auch nicht, daß man mich gebeten hat, die Howard-Kollektion
zu ordnen.»
So seinem Ausweichmanöver von hinten
durch die Brust geschossen, schob Quin verlegen einige Papiere auf seinem
Schreibtisch hin und her. «So etwas spricht sich herum», murmelte er.
«Sie haben also diese Sache mit
Manchester arrangiert? Sie haben Feldberg den Vorschlag gemacht, sich mit mir
in Verbindung zu setzen? Das hätte ich mir eigentlich denken können.»
«Ja, um Himmels willen, Sie haben
aber auch seit Ihrer Ankunft hier nichts getan, um sich selbst zu helfen. Da
sitzt ein Mann von Ihrem Format Tag für Tag mit einem Landstreicher zusammen in
der öffentlichen Bibliothek! Warum haben Sie nicht mit den Leuten Kontakt
aufgenommen, denen Sie irgendwann einmal geholfen haben? Ich brauchte nur Ihren
Namen zu erwähnen – Feldberg wußte nicht einmal, daß Sie in England sind.»
Berger setzte seinen Hut auf und
erhob sich. Als er wieder sprach, lächelte er. «Es ist schon merkwürdig – da
habe ich jahrelang studiert und Wissen angehäuft, während meine Frau nicht
einmal ihre Prüfung in der Blumensteckkunst bestanden hat, weil sie immer viel
zu viele Blumen in die Vase tat, und doch hatte sie recht. Die Menschen
bleiben sich treu.»
Erst an der Tür drehte er sich noch
einmal um. Seine Stimme war jetzt wieder ernst, sein Gesicht wirkte erschöpft.
«Lassen Sie das Kind dableiben, Quin», sagte er, den Namen gebrauchend, den er
vor so vielen Jahren gebraucht hatte. «Es ist ja nicht einmal ein Jahr, und wer
weiß, was für ein Schicksal uns erwartet.» Sehr leise fügte er hinzu: «Sie wird
Ihnen keine Umstände machen.»
Aber letztendlich waren es nicht die
Bitte ihres Vaters und nicht die Intervention ihrer Kommilitonen, die Ruth die
Begnadigung brachten. Und auch nicht Lady Placketts offensichtliche Genugtuung
über den beabsichtigten Ausschluß dieses Mädchens, das nicht in den allgemeinen
Rahmen paßte. Es war ein Plakat an dem Zeitungskiosk, an dem Quin auf der
Heimfahrt vorbeikam. HITLER IN DER TSCHECHOSLOWAKEI lautete die Schlagzeile.
Quin kaufte die Zeitung. Die Bilder
zeigten einen grinsenden, mit Blumenkränzen geschmückten Führer, flatternde
Hakenkreuzfahnen an allen Häusern, genau wie im Frühjahr in Wien. Österreich
im März, die Tschechoslowakei im Oktober ... Konnte irgend jemand noch
ernstlich glauben, daß es da ein Ende haben würde?
Die durchschnittliche Lebensspanne
eines Infanterieoffiziers hatte im Jahr 1918 sechs Wochen betragen. In der
Marine hatte der Soldat auf eine nur unwesentlich längere Lebensdauer hoffen
können. Wenn es Krieg geben sollte – und er schien unvermeidlich zu sein –,
würde es dann noch eine Menschenseele kümmern, wer mit wem wie lange
verheiratet war?
«O'Malley sagte, er hätte keine
freien Plätze mehr.» Mit diesem Satz gab Quin Roger Felton seine Entscheidung
bekannt. «Sagen Sie Miss Berger, sie kann bleiben.»
Roger nickte nur, verriet weder
jetzt noch später auch nur mit einem Wort, was er soeben in den University
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