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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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Prüfungen besser bin als Verena oder nicht.»
    Sie betete mit Inbrunst, und es war
ihr ernst mit dem, was sie sagte. Aber Gott hatte anderes zu tun in jenem Herbst,
als die Internationalen Brigaden geschlagen aus Spanien zurückkehrten und die
von Hitler verübten Grausamkeiten weiter zunahmen. Außerdem verpatzte Ruth
alles, indem sie nach ihren Gebeten aufzustehen pflegte, um mit ihren Büchern
und Heften ins Bad zu gehen, den einzigen Ort in Nummer 27, an dem man,
wenigstens in der Nacht, ungestört lernen konnte.
    Mit dem Voranschreiten des Semesters kam
die Rede immer häufiger auf die Exkursion, die am Ende des Monats unternommen
werden sollte. Jene Studenten, die bereits in Bowmont gewesen waren, erzählten
stets mit großer Begeisterung von dieser Unterbrechung in der Routine
täglicher Seminare und Vorlesungen.
    «Man fährt mit Booten raus, abends
sitzt man am Lagerfeuer, und am Sonntag gibt's oben im Haus ein Riesenmittagessen.»
    Ruth war durchaus bereit, sich das
alles staunend anzuhören, aber für sie stand fest, daß sie nicht mitfahren
würde.
    «Ich kann mir schon das Fahrgeld
nicht leisten, geschweige denn die Ausrüstung mit Gummistiefeln und Ölzeug und
so», erklärte sie. «Außerdem muß ich hier alles bereit haben, wenn Heini kommt.
Es macht mir nichts aus, ehrlich.»
    Aber Pilly machte es etwas aus, und
sie hielt damit, genau wie Ruths andere Freunde, nicht hinter dem Berg. Auch
Roger Felton machte es etwas aus. Mehr noch, er war fest entschlossen, Ruth
diese Exkursion zu ermöglichen.
    Wozu gab es schließlich den Fonds
für Härtefälle? Der war doch extra dazu da, Studenten, die finanzielle
Schwierigkeiten hatten, unter die Arme zu greifen! Und er wurde vom
Finanzausschuß verwaltet, dem Roger genauso angehörte wie allen anderen Ausschüssen,
in denen die Fakultät vertreten sein mußte, da Quin von Anfang an keinen
Zweifel daran gelassen hatte, daß er nicht bereit sei, seine Zeit in
überheizten Räumen und mit sich ständig wiederholendem Gebrabbel zu vertun.
    Der Ausschuß hatte seine nächste
Sitzung an einem Samstagmorgen anberaumt, gerade zwei Wochen vor Beginn der
Exkursion. Felton hatte bereits bei Ausschußmitgliedern anderer Fakultäten für
sein Anliegen geworben und war allseits auf Wohlwollen gestoßen. Er trat daher
mit Hoffnung und Zuversicht am Samstagmorgen in den Sitzungssaal.
    Aber er hatte die Rechnung ohne den
neuen Vizekanzler gemacht. Lord Charlefont hatte Ausschußsitzungen im Galopp
vorangetrieben; Sir Desmond, studierter Ökonom, war ein begeisterter
Kleinkrämer. Jedes Reagenzglas, jedes Stück Kreide, das gekauft werden sollte,
wurde genauestens unter die Lupe genommen, und als man sich um ein Uhr zum
Mittagessen vertagte, war die Frage des Zuschusses aus dem Härtefonds für Ruth
noch gar nicht diskutiert worden.
    «Mußt du wirklich wieder hin?»
fragte Lady Plackett, die gehofft hatte, ihren Mann zu einem Kinobesuch
überreden zu können.
    «Ja. Felton von der zoologischen
Fakultät möchte eine seiner Studentinnen in Somervilles praktisches
Übungsseminar hineinbugsieren. Und dafür möchte er Geld aus dem Härtefonds.
Meiner Ansicht nach ist das eine rein akademische Frage. Inwieweit kann die
Nichtteilnahme an einer Exkursion als Härtefall eingestuft werden? Wir werden
das sehr genau diskutieren müssen.»
    «Er möchte das Geld doch nicht etwa
für diese Österreicherin haben? Miss Berger?»
    Sir Desmond griff nach der
Tagesordnung. «Hier steht kein Name, aber möglich wäre es. Warum?»
    «Nun, ich würde es als höchst
unangebracht betrachten, ihr das Geld zu geben. Du weißt ja selbst, daß
Professor Somerville sie hier eigentlich gar nicht haben wollte – soviel ich
weiß, bestand da früher eine Verbindung zu ihrer Familie in Wien. Er war sich
offensichtlich der Gefahr bewußt, sich der Bevorzugung schuldig zu machen. Aber
Dr. Felton kümmert sich, seit das Mädchen hier ist, in ganz besonderem Maß um
sie, wie Verena mir erzählte.»
    «Du meinst ...» Sir Desmond sah sie
scharf an.
    «Nein, nein, nichts dergleichen. Er
biegt nur die Vorschriften ein wenig zurecht, damit er ihr entgegenkommen kann.
Aber wenn sich herumsprechen sollte, daß Gelder, die ausschließlich für Härtefälle
bestimmt sind, dafür verwendet wurden, einem jungen Ding, das hier sowieso aus
reiner Menschenfreundlichkeit geduldet wird, einen kleinen Ausflug zu
finanzieren, so könnte das, denke ich, zu einer Menge Klatsch und Spekulationen
Anlaß geben. Es wäre bestimmt

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