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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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und die feinsten Vanilleschoten, und um neun zog sie das
erste Blech voll perfekt gebackener Vanillekipferl aus dem Rohr.
    Das war der Moment, als ihre
Planungen für diesen Morgen zunichte gemacht wurden. Sie hatte gewünscht,
Mishak möge bleiben und Ruths Freunde kennenlernen – sie hatte Mishak immer
gern da –, Hilda jedoch, hoffte sie, werde wie immer in das Britische Museum
abdampfen und Fräulein Lutzenholler den Hügel hinaufmarschieren und Freuds Haus
anstarren.
    Sie hatte jedoch nicht mit der Macht
der menschlichen Nase gerechnet, Emotionen und Erinnerungen wachzurufen. Hilda
erschien zuerst. In ihrem Morgenrock kam sie schlaftrunken in die Küche
getaumelt.
    «Dann ist es also wirklich wahr!»
rief sie. «Ich habe sie gerochen, .aber ich dachte, es sei ein Traum.» Und dann
beschloß sie, da Samstag war, nicht ins Museum zu gehen, sondern zu Hause zu
arbeiten.
    Wenig später kam Fräulein
Lutzenholler, nicht so finster wie sonst, sondern vielmehr ungläubig. «Ach so,
ja, das Klavier», sagte sie und fügte die Worte hinzu, die Leonie gefürchtet
hatte: «Da bleibe ich natürlich und helfe.»
    Als später der Duft frisch
gemahlenen Kaffees sich mit dem süßen, warmen Aroma der Kipferl vermischte,
zeigte sich, daß an diesem Morgen nicht nur niemand freiwillig Nummer 27
verlassen, sondern viele andere dazukommen würden. Ziller war natürlich
eingeladen worden, aber kurz nach ihm traf Mrs. Weiss in einem Taxi ein, und
wenig später Mrs. Burtt, die ihren freien Tag hatte, und dann eine Dame aus dem
Nachbarhaus, die irgend etwas Ekstatisches auf Polnisch murmelte.
    So kam es, daß Ruth, als sie mit
ihren Freunden eintraf, von heimatlichen Wohlgerüchen und aufgeregtem
Stimmengewirr empfangen wurde. Einen Moment lang blieb sie von Erinnerungen
überwältigt an der Tür stehen, dann rannte sie nach oben und fiel ihrer Mutter
um den Hals.
    «Ach, du hättest doch nicht backen
sollen, aber es ist natürlich köstlich!» rief sie und rieb ihre Wange an der
ihrer Mutter.
    Jeder, den Ruth gern hatte, wäre von
Leonie mit Herzlichkeit aufgenommen worden, aber in Pilly erkannte sie unter den
teuren Kleidern sogleich eines jener armen Hascherin, deren sie sich in Wien
stets angenommen hatte. Was Sam anging, so war der so überwältigt von diesem
Zusammentreffen mit Paul Ziller, dessen Schallplatten er alle gesammelt
hatte, daß er kaum einen Ton herausbringen konnte. Selbst ohne die Ankunft des
Klaviers wäre es eine gelungene kleine Feier geworden.
    Pünktlich um halb zwölf Uhr jedoch
wurde das Instrument gebracht. «Immer schön vorsichtig», sagte der Möbelpacker,
während er das Klavier die Rampe hinuntergleiten ließ, und «Langsam, langsam»,
sagten die Männer, während sie Seile und Gurte anlegten, um es in die oberste
Etage hinaufzubefördern. «Immer ruhig Blut.»
    Aber ruhig Blut zu behalten, war
schwierig. Fräulein Lutzenholler war aus dem Wohnzimmer entwichen und gab den
Möbelmännern gute Ratschläge; Hilda schwirrte aufgeregt um sie herum ... Doch
endlich war es geschafft, und mit höflicher Verbeugung wurde Ruth der Schlüssel
übergeben.
    «Nein, sperr du es auf, Huw», sagte
sie, und alle mußten anerkennen, wie richtig diese Geste war. Der schweigsame
Waliser nämlich, der unermüdlich die Musikgeschäfte Londons durchgestöbert
hatte, war schließlich in einer entlegenen Vorstadt in der Nähe des Rugbyfelds
der Universität genau auf das Klavier gestoßen, das Heini haben wollte: ein
Bösendorfer, eines der letzten, das aus den alten Werkstätten hervorgegangen
war, berühmt für die Süße seines Klangs.
    «Jetzt kann ich wirklich glauben,
daß Heini kommt» sagte Ruth leise und ließ die Finger leicht über die Tasten
gleiten.
    «Komm, probier es doch aus», schlug
Leonie vor, während sie den Möbelmännern, die geglaubt hatten, sie könnten
jetzt gehen, Teller mit Kipferin anbot.
    Obwohl sich einer der weltbesten
Geiger im Zimmer befand, setzte sich Ruth ohne Verlegenheit an das Klavier und
spielte einen Schubert-Walzer – und Ziller lächelte, denn diese
leidenschaftliche Liebe zur Musik, die sie seit ihrer frühen Kindheit beseelte
und die alle Begrenzungen reiner Technik überwand, rührte ihn immer wieder.
    «Äh – Sir – könnten Sie nicht – ich
meine, Sie würden uns wohl nicht etwas vorspielen?» fragte Sam nervös und
aufgeregt.
    «Aber natürlich.»
    Ziller holte seine Geige und spielte
ein Stück von Kreisler und eine Beethoven-Bagatelle – und danach alberten er
und

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