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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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seit seiner Kindheit nicht mehr genannt! –
und teilte ihm strahlend vor Herzlichkeit mit, daß die Cocktails in einer
halben Stunde im Salon serviert würden, ihm also zum Umkleiden hinreichend Zeit
bliebe.
    Das allein war Hinweis auf eine Art
der Förmlichkeit, wie Quin sie im allgemeinen nicht gestattete. Wenn er mit
seinen Studenten hier war, das hatte er von Anfang an klargestellt, dann nicht
um zu feiern, sondern um zu arbeiten. Doch als er ins Haus ging, stieß er auf
weitere Anzeichen dafür, daß Besonderes in der Luft lag. Der große Saal von
Bowmont mit seiner recht eigenwilligen Sammlung von Breitschwertern, seltsamen
Gobelins und einem Wiesel, das der Basher selbst ausgestopft hatte, allerdings
nicht sehr erfolgreich, war kein Ort, an dem man sich gern aufhielt. Heute
jedoch brannte der Überzeugung seiner Tante zum Trotz, daß Wärme im Haus
Verweichlichung und Verfall förderten, ein loderndes Feuer im großen offenen
Kamin, und obwohl kaum je Blumen geschnitten und ins Haus gebracht wurden, da
Frances ihre Pflanzen lieber ungestört wachsen ließ, war die chinesische Vase
auf der alten Eichentruhe mit Dahlien und Chrysanthemen gefüllt.
    Das Kostüm seiner Tante schließlich,
als diese herauskam, um ihn zu begrüßen, bestätigte Quins Befürchtungen.
Frances zog sich stets zum Abendessen um; das hieß, daß sie ihren formlosen Tweedrock gegen einen etwas
längeren Rock aus rostbrauner Seide vertauschte – es gab jedoch ein Ensemble,
das seit Jahrzehnten den besonderen Anlaß signalisierte: ein schwarzes
Chenillekleid, dessen nicht gerade unzüchtig tiefer Ausschnitt mit einem
orientalischen Schal verhüllt zu werden pflegte. In dieser Aufmachung kam
Frances ihrem Neffen jetzt entgegen, und seine letzte Hoffnung auf einen
ruhigen Abend der Vorbereitung auf das Seminar erlosch.
    «Du siehst großartig aus», sagte er
lächelnd zu ihr. «Haben wir Besuch?»
    «Aber das weißt du doch», antwortete
Frances und neigte sich ihm zu, um ihm den gewohnten Kuß auf die Wange zu
geben. «Ich habe es dir geschrieben. Sie werden jeden Moment herunterkommen –
du hast gerade noch Zeit, dich umzuziehen.»
    «Leider weiß ich gar nichts, Tante
Frances. Ich komme direkt aus Yorkshire. Was hast du mir denn geschrieben?»
    Frances runzelte die Stirn. Sie
hatte gehofft, Quin würde wohlvorbereitet und guter Stimmung eintreffen. «Daß
ich die Placketts eingeladen habe – Verena und ihre Mutter.» Als Quin nichts
sagte, fügte sie hinzu: «Ich kannte Lady Plackett als junges Mädchen – das wird
sie dir doch erzählt haben? Wir waren zusammen im Pensionat.»
    Sie sah Quin an und fühlte sich
zutiefst unbehaglich. Die Anzeichen des Mißvergnügens waren ihr nach zwanzig
Jahren der Gemeinsamkeit nur allzu vertraut: Quins Nase war schmal geworden,
auf seiner Stirn hatten sich tiefe Falten gebildet.
    «Verena ist eine meiner
Studentinnen, Tante Frances. Es wäre absolut nicht in Ordnung, wenn ich sie
anders behandelte als die restlichen Studenten.»
    Frances war erleichtert. Es war also
nur die Furcht, den Anschein von Bevorzugung zu wecken, die ihn zurückhielt.
    «Ja, natürlich, das ist mir klar,
und ihr ebenfalls. Sie hat bereits ausdrücklich gesagt, daß sie keinerlei
Sonderbehandlung bei der Arbeit draußen erwartet. Aber Lady Plackett ist eine
alte Freundin von mir – es wäre äußerst merkwürdig, wenn ich mich weigerte,
ihre Tochter bei mir im Haus aufzunehmen.»
    Quin nickte, lächelte – das
unwirsche Gesicht verwandelte sich wieder in das eines umgänglichen Menschen.
Schon hatte er Gewissensbisse: Frances mußte sich einsamer fühlen, als ihm
bewußt war, wenn sie sogar bereit war, die Placketts bei sich aufzunehmen.
Vielleicht war alles nur Maske gewesen, ihre Ungeselligkeit, ihr
ausgesprochener Wunsch, allein zu sein – und er fragte sich, was er seit langem
nicht mehr getan hatte, wie tief eigentlich jene Zurückweisung des Verlobten
sie damals getroffen hatte.
    «Natürlich, Tante Frances, ist schon
in Ordnung. Mach dir keine Gedanken. Ich gehe jetzt nach oben und ziehe mich
um.»
    Doch noch auf dem Weg zu seinem
Turmzimmer hörte er irgendwo über sich ein Husten. Es war nicht etwa ein
scheues, zaghaftes Hüsteln; es war gewissermaßen ein Fanfarenstoß von einem
Husten – und Quin, der suchend aufwärts sah, gewahrte jetzt eine Gestalt, die
auf dem oberen Treppenabsatz stand.
    Verena, die so viel gelesen hatte,
hatte auch gelesen, daß kein Mann dem Anblick einer schönen Frau widerstehen
kann,

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