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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sie doch so fern, sind so sehr aus einem anderen Stoff, als wären sie auf anderen Sternen in anderen Jahr-tausenden geschehen, oder als wären sie Fieber-träume gewesen.«
    »Das kenne ich!« rief Lukas lebhaft, jetzt erst begann unser Gespräch ihn zu interessieren. »O wie gut kenne ich das! Sehen Sie , genau ebenso ist es mir mit dem Erlebnis des Krieges gegangen. Ich glaubte ihn gut und scharf erlebt zu haben, ich war zum Bersten voll von Bildern, die Filmrolle in meinem Gehirn schien tausend Kilometer lang zu sein - aber als ich am Schreibtisch saß, auf einem Stuhl, an einem Tisch, unter einem Dach, eine Feder in der Hand, da waren die wegrasierten Dörfer und Wälder, das Erdbebenzittern im
    Trommelfeuer, das Geknäuel von Dreck und
    Größe, von Angst und Heldentum, von zerfetzten Bäuchen und Köpfen, von Todesfurcht und Galgenhumor - da war das alles ganz unsäglich weit fort, war nur geträumt, hatte zu nichts Beziehung und war nirgends zu fassen. Sie wissen, daß ich schließlich trotzdem mein Kriegsbuch geschrieben habe und daß es jetzt viel gelesen und besprochen wird. Aber sehen Sie: ich glaube nicht daran, daß zehn solche Bücher, jedes zehnmal bes-ser und eindringlicher als das meine, dem wohl-meinendsten Leser irgendeine Vorstellung vom Kriege geben können, wenn der Leser den Krieg nicht selber erlebt hat. Und es sind nicht so sehr viele, die ihn erlebt haben. Auch von denen, die ihn >mitgemacht< haben, haben längst nicht alle ihn erlebt. Und selbst wenn viele ihn wirklich erlebt haben sollten - - sie haben ihn dann eben wieder vergessen. Vielleicht hat der Mensch nächst dem Hunger nach Erlebnis keinen stärkeren Hunger als den nach Vergessen.«
    Er schwieg und sah versponnen und versunken aus, seine Worte hatten mir eigene Erfahrungen und Gedanken bestätigt.
    Vorsichtig fragte ich nach einer Weile: »Aber wie war es Ihnen trotzdem möglich, das Buch zu schreiben?«
    Er besann sich einen Augenblick, aus Gedanken zurückkehrend. »Es war mir bloß darum mög-lieh«, sagte er, »weil es notwendig war. Ich mußte entweder das Buch schreiben oder verzweifeln, es war die einzige Möglichkeit meiner Rettung vor dem Nichts, vor dem Chaos, vor dem Selbstmord.
    Unter diesem Druck ist das Buch geschrieben, und es hat mir die erwartete Rettung gebracht, einfach weil es geschrieben ist, einerlei wie gut oder wie schlecht. Das war das eine, die Hauptsache. Und dann: beim Schreiben durfte ich nicht einen Augenblick an andere Leser denken als an mich selber oder höchstens hie und da an einen nahen Kriegs-kameraden, und zwar dachte ich dann nie an
    Überlebende, sondern immer an solche, die im Krieg umgekommen waren. Ich war während des Schreibens ein Fieberkranker oder Irrsinniger, umgeben von drei, vier Toten mit verstümmelten Leibern - so ist das Buch entstanden.«
    Und plötzlich sagte er — es war der Schluß unsrer ersten Unterredung: »Entschuldigen Sie, ich kann nicht mehr darüber sagen. Nein, kein Wort, kein einziges Wort. Ich kann nicht, ich will nicht.
    Auf Wiedersehen!«
    Er schob mich hinaus.
    Bei der zweiten Zusammenkunft war er wieder ruhig und kühl, hatte wieder das leicht ironische Lächeln und schien doch mein Anliegen ernst zu nehmen und recht gut zu begreifen. Er gab mir einige wenige Ratschläge, die mir auch ein klein wenig genützt haben. Und am Ende dieser zweiten und letzten Unterredung sagte er wie nebenbei:
    »Hören Sie, Sie kommen immer und immer wie -
    der auf die Episode mit jenem Diener Leo zurück, das gefällt mir nicht, dort scheint eine Klippe für Sie zu liegen. Machen Sie sich frei, werfen Sie Leo über Bord, er scheint eine fixe Idee werden zu wollen.«
    Ich wollte erwidern, daß man ohne fixe Ideen keine Bücher schreiben könne, aber er hörte nicht auf mich. Statt dessen erschreckte er mich mit der ganz unerwarteten Frage: »Hieß er denn wirklich Leo?«
    Mir stand der Schweiß auf der Stirn.
    »Aber ja «, sagte ich, »gewiß hieß er Leo.«
    »Mit Vornamen?«
    Ich stutzte.
    »Nein, mit Vornamen hieß er - - er hieß - ich weiß nicht mehr, ich habe es vergessen. Leo war sein Geschlechtsname, wir alle nannten ihn nie anders.«

    Während ich noch sprach, hatte Lukas ein dickes Buch von seinem Schreibtisch gegriffen und blätterte darin. Mit fabelhafter Schnelligkeit hatte er gefunden und hielt den Finger auf eine Stelle der aufgeschlagenen Buchseite gedrückt. Es war ein Adreßbuch, und da, wo sein Finger auflag, stand der Name Leo.
    »Sehen Sie«, lachte er,

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