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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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und tastete ein wenig an jeder, steckte sie in den Mund und kaute lange und genießend. Es dauerte eine ganze Weile, bis er die letzte genommen und verzehrt hatte. Jetzt machte er die Dose wieder zu und steckte sie ein, lehnte sich zurück und streckte die Beine lang aus; ich sah jetzt, seine Stoffschuhe hatten Sohlen aus Seil-geflecht.
    »Heute nacht wird es Regen geben«, sagte er plötzlich, ich wußte nicht ob zu mir oder zu sich selber.
    »Es kann schon sein«, sagte ich etwas befangen, denn wenn er mich schon an Gestalt und Gang bisher nicht erkannt hatte, so konnte es doch sein, vielmehr ich erwartete es beinahe bestimmt, daß er mich jetzt an der Stimme wiedererkennen werde.
    Aber nein, er erkannte mich keineswegs, auch nicht an der Stimme, und obwohl das meinem anfäng-liehen Wunsch entsprach, empfand ich dabei doch eine tiefe Enttäuschung. Er erkannte mich nicht.
    Während er selbst in zehn Jahren der gleiche geblieben und anscheinend gar nicht gealtert war, stand es mit mir anders, traurig anders.
    »Sie können so schön pfeifen«, sagte ich, »ich habe es vorher gehört, drüben am Seilergraben. Es hat mir sehr gefallen. Ich bin nämlich früher Musiker gewesen.«
    »Musiker?« sagte er freundlich. »Das ist ein schö-
    ner Beruf. Haben Sie ihn denn aufgegeben?«
    »Ja, zeitweilig. Ich habe sogar meine Violine verkauft.«
    »So? Das ist schade. Sind Sie in Not? Ich meine: sind Sie am Ende hungrig? Ich habe noch Essen zu Hause, ich habe auch ein paar Mark in der Tasche.«
    »Ach nein«, sagte ich schnell, »so war es nicht ge-meint. Ich bin in ganz guten Verhältnissen, ich habe mehr, als ich brauche. Aber ich danke schön, es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mich ein-laden wollten. Man trifft nicht so oft auf freundliche Menschen.«
    »Meinen Sie? Nun, es mag sein. Die Menschen sind verschieden, oft sind sie recht sonderbar. Auch Sie sind sonderbar.«
    »Ich? Warum denn?«
    »Nun, wenn Sie Geld genug haben und doch Ihre Geige verkaufen! Haben Sie denn keine Freude mehr an der Musik?«
    »O ja. Aber es kommt doch zuweilen vor, daß ein Mensch die Freude an etwas verliert, was ihm vorher lieb war. Es kommt vor, daß ein Musiker seine Geige verkauft oder an die Wand wirft, oder daß ein Maler alle seine Bilder eines Tages verbrennt.
    Haben Sie nie von so etwas gehört?«
    »Ja, schon. Es ist dann aus Verzweiflung. Das kommt vor. Ich habe auch zwei gekannt, die sich selber umgebracht haben. Dumme Menschen gibt es, sie können einem leid tun. Manchen kann man eben nicht helfen. — Aber was tun Sie denn jetzt, wenn Sie Ihre Geige nicht mehr haben?«
    »Ach, dies und jenes. Ich tue eigentlich nicht viel, ich bin nicht mehr jung, und ich bin auch oft krank.
    Warum sprechen Sie denn immer von dieser
    Geige? Es ist doch nicht so wichtig.«
    »Von der Geige? Da habe ich an den König David gedacht.«

    »Wie? An den König David? Was hat denn der
    damit zu tun?«
    »Er ist auch Musiker gewesen. Als er ganz jung war, hat er dem König Saul Musik gemacht und hat ihm manchmal seine böse Laune weggespielt.
    Und nachher ist er selber König geworden, so ein großer sorgenvoller König mit allerlei Launen und Plagen. Er hat eine Krone getragen und hat Kriege geführt und alles das, und manche richtige Gemeinheiten hat er auch begangen, und ist sehr berühmt geworden. Aber wenn ich an seine Geschichte denke, dann ist das Schönste von allem der junge David mit seiner Harfe, und wie er dem armen Saul Musik gemacht hat, und ich finde es schade, daß er nachher König geworden ist. Er war viel glücklicher und hübscher, als er noch Musikant war.«
    »Gewiß«, rief ich, etwas eifrig. »Gewiß war er damals jünger und hübscher und glücklicher. Aber der Mensch bleibt nicht ewig jung, und Ihr David wäre mit der Zeit älter und häßlicher und sorgenvoller geworden, auch wenn er Musikant geblie -
    ben wäre. Und dafür ist er der große David geworden, er hat seine Taten getan und hat seine Psalmen gedichtet. Das Leben ist doch nicht bloß ein Spiel!«
    Leo erhob sich jetzt und grüßte.
    »Es wird Nacht«, sagte er, »und es wird bald reg-nen. Ich weiß nicht mehr viel von den Taten, die David getan hat, und ob sie eigentlich groß waren. Und auch von seinen Psalmen weiß ich, offen gestanden, nicht mehr sehr viel. Ich möchte nidits gegen sie sagen. Aber daß das Leben nicht bloß ein Spiel sei, das beweist mir kein David. Gerade das ist es ja, das Leben, wenn es schön und glücklich ist: ein Spiel! Natürlich

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