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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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kann man auch alles mögliche andere aus ihm machen, eine Pflicht oder einen Krieg oder ein Gefängnis, aber es wird dadurch nicht hübscher. Auf Wiedersehen, es hat mich gefreut.«
    Mit seinem leichten, sorgfältigen, wohlwollenden Gange setzte er sich in Bewegung, der wunderliche liebe Mensch, und war im Begriff zu verschwin-den, da fiel vollends alle Haltung und Selbstbe-herrschung in mir zusammen. Verzweifelt lief ich ihm nach und rief aus flehendem Herzen: »Leo!
    Leo! Sie sind doch Leo. Kennen Sie mich denn nicht mehr? Wir sind doch Bundesbrüder gewesen, und sollten es noch immer sein. Wir sind doch beide mit auf die Fahrt ins Morgenland gezogen. Haben Sie mich denn wirklich vergessen, Leo? Wissen Sie wirklich nichts mehr von den Kronenwächtern, von Klingsor und von Goldmund, vom Fest in
    Bremgarten, von der Schlucht bei Morbio Inferiore?
    Leo, erbarmen Sie sich!«
    Er lief nicht davon, wie ich gefürchtet hatte, doch kehrte er auch nicht um; er schritt gemächlich weiter, als habe er nichts gehört, ließ mir aber Zeit, ihn einzuholen, und schien nichts dagegen zu haben, daß ich mich ihm anschloß.
    »Sie sind so betrübt und so hastig«, sagte er be-gütigend, »das ist nicht hübsch. Es entstellt das Gesicht, und man wird krank davon. Wir wollen ganz langsam gehen, das beruhigt so schön. Und die paar Regentropfen - wunderbar, nicht? Sie kommen wie Kölnischwasser aus der Luft.«
    »Leo«, flehte ich, »haben Sie Mitleid! Sagen Sie mir ein einziges Wort: Kennen Sie mich noch?«
    »So«, sagte er begütigend und sprach noch immer wie zu einem Kranken oder Betrunkenen, »jetzt gibt sich das schon wieder, es war nur Aufregung.
    Sie meinen: ob ich Sie kenne? Ja, welcher Mensch kennt je den ändern oder auch bloß sich selber?
    Und ich, sehen Sie, ich bin nun gar kein Menschen-kenner. Es interessiert mich nicht. Hunde, ja, die kenne ich ganz gut, auch Vögel und auch Katzen.
    Aber Sie kenne ich wirklich nicht, Herr.«
    »Aber Sie gehören doch zum Bunde? Sie sind dodi damals mit auf der Fahrt gewesen?«
    »Ich bin immer auf der Fahrt, Herr, und ich ge-höre immer zum Bund. Da kommen und gehen so manche, man kennt sich und kennt sich doch nicht.
    Mit den Hunden ist das viel einfacher. Passen Sie auf, bleiben Sie einen Augenblick stehen!«
    Er hob ermahnend den Finger. Wir standen auf der nächtlichen Gartenstraße, die sich mehr und mehr mit dünn niedersinkender Feuchtigkeit be-schlug. Leo spitzte die Lippen und ließ einen ge-dehnten, vibrierenden, leisen Pfiff ertönen, wartete eine Weile, pfiff noch einmal, und ich schrak ein wenig zusammen, als plötzlich dicht vor uns, hinter dem Gitterzaun, an dem wir standen, ein großer Wolfshund aus dem Gebüsch sprang und sich freudig winselnd ans Gitter drängte, um von Leos Fingern zwischen den Stangen und Drähten hindurch gestreichelt zu werden. Hellgrün leuch-teten die Augen des starken Tiers, und sooft sein Blick mich traf, knurrte es tief in seiner Kehle, wie ferner Donner, kaum hörbar.
    »Dies ist der Wolfshund Necker«, sagte Leo vor-stellend, »wir sind sehr gute Freunde. Necker, dies hier ist ein ehemaliger Violinspieler, du darfst ihm nichts tun, auch nicht bellen.«
    Wir standen, und Leo kraute durchs Gitter hindurch zärtlich das feuchte Hundefell. Es war eigentlich eine hübsche Szene, es gefiel mir eigentlich sehr, wie er mit dem Tier befreundet war und ihm die Freude dieser nächtlichen Begrüßung machte; aber zugleich war es mir kläglich und schien mir kaum zu ertragen, wie Leo da mit die -
    sem Wolfshund und wahrscheinlich mit vielen, vielleicht mit allen Hunden der Gegend in so ver-traulicher Freundschaft stand, während ihn von mir eine Welt von Fremdheit trennte. Die Freundschaft und das Vertrauen, um die ich flehend und demütigend mich bewarb, schien nicht nur diesem Hunde Necker, sie schien jedem Tier, jedem Regentropfen, jedem Fleck Erdboden zu gehören, den Leo betrat, er schien beständig sich hinzugeben, immerzu in fließender, wogender Beziehung und Gemeinschaft mit seiner Umgebung zu stehen, alles zu kennen, von allen gekannt und geliebt zu sein, - nur zu mir, der ich ihn so sehr liebte und seiner so sehr bedurfte, führte ihn kein Weg, nur mich allein trennte er ab, betrachtete mich fremd und kühl, ließ mich nicht in sein Herz, hatte mich aus seinem Gedächtnis gestrichen.
    Wir gingen langsam weiter, mit leisen wohligen Lauten der Zuneigung und Freude begleitete ihn jenseits des Zaunes der Wolfshund, ohne doch meine lästige

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