Die Morrigan: Wild Roses, Staffel 1, Band 3 (German Edition)
einem Hocker daneben stand, nahm einen kleinen Lederbeutel von ihrem Gürtel und leerte dessen Inhalt in den Becher. Danach schöpfte sie mit einer Kelle Wasser aus dem Topf in den Becher und flüsterte leise. Behutsam trug sie den Becher zu Rose und reicht ihn ihr. War sie bisher Roses Blicken ausgewichen, sah sie ihr nun direkt in die Augen, fragend, furchtsam und unendlich dankbar zugleich. Rose erwiderte den Blick. In diesem Moment begriff sie. Genau wie alle anderen hoffte Glynis auf ihr Opfer. Wenn sie sich nicht opferte, würde auch Connor sterben, Glynis’ Sohn.
Mit heiserer Stimme sagte Glynis: „Dies ist dein erster Schritt zur Göttin. Wenn du bereit bist, dich ihr zu weihen, trink das.“
Aller Augen waren auf Rose gerichtet. Sie blickte in den Becher, der eine blutrote Flüssigkeit enthielt. Sie sog den starken Duft der Kräuter ein. Dann setzte sie den Becher an die Lippen und trank. Die heiße Flüssigkeit verbrannte ihr Zuge und Kehle, trotzdem zwang sie sich, weiterzutrinken. Sie hatte sich entschieden, und sie wusste, dass die Schmerzen, die sie erwarteten, weitaus größer waren als das, was sie im Moment erlitt.
Kaum hatte der letzte Tropfen den Weg ihre Kehle hinab gefunden, sprang die Tür des Hauses auf und schlug mit gewaltigem Krach gegen die Wand. Alan stand im Eingang. Er zitterte am ganzen Körper, und sie wusste, dass er gegen alle Vernunft gehofft hatte, sie hätte sich dem Opfer verweigert. Mit großen Schritten kam er jetzt auf sie zu und griff nach dem Becher. Er blickte hinein und sah, dass er leer war. Unendliche Verzweiflung flutete seinen Blick, und dann stieß er einen Schrei aus, der tief bis in Roses Herz drang und dort widerhallte.
„Nein!“
Müdigkeit umfing sie, der Trank begann, sie aus ihrem Inneren heraus zu wärmen und nahm ihr die Kraft, Alan zu trösten. Sie hob eine Hand, wollte ihn berühren, aber es war, als sei er längst in weite Ferne gerückt. Sie gehörte bereits nicht mehr zu dieser Welt, er würde sie nur aufhalten auf ihrem Weg. Sie ließ die Hand wieder sinken.
„Bitte sag Branwen, dass ich mich entschieden habe“, stieß sie mühsam hervor. Sie schwankte, dann spürte sie einen Arm, der sie hielt. Das Licht des Feuers schien ihr dunkler zu werden, sie sah die Gesichter um sich, konnte sie aber nicht erkennen. Zu dem Arm, der sie stützte, gesellte sich eine Hand, die sich auf ihre Schulter legte und sie sanft in Richtung Ausgang schob. Sie ließ es geschehen.
Man führte sie auf den Thingplatz. Dort war ein prächtiges Zelt mit Vorhängen aus feinem Leinen errichtet worden. Schemenhaft nahm Rose wahr, dass sich Menschen auf dem Platz befanden, die miteinander sprachen. Jemand stellte sich ihr in den Weg, krallte die Hände um ihre Arme und sprach sie an, aber sie konnte in den Worten keinen Sinn erkennen. Die Hand auf ihrer Schulter schob sie weiter bis zum Eingang des Zeltes. Um das Zelt herum standen Krieger. Sie kannte das Ritual aus Glynis’ Erzählungen. Vier Krieger, die sie in jeder Himmelsrichtung beschützen würden, bis das Ritual vollzogen war. Dann würden sie ihre Leibwache werden und mit ihr als Erste das Schlachtfeld betreten.
In dem Zelt hatte man der künftigen Morrigan ein Lager aus Rosenblüten und weichen, mit Gänseflaum gefüllten Decken bereitet. Dort würde sie den Dank der Dorfbewohner entgegennehmen. Die Hand auf ihrem Rücken schob sie bis vor das Lager, dann ließ der Druck nach, und Rose blieb stehen. Gedämpfte Töne waberten um sie herum. Die Welt verschwamm vor ihren Augen. Sie spürte, wie man sie entkleidete, und ließ es geschehen. Alan!, taumelte ein einzelner Gedanke durch ihren Geist, aber sie konnte sich kaum noch daran erinnern, wer er war. Sie erkannte Glynis, die sie zu einem Becken mit warmem, nach Rosen duftendem Wasser führte und sie damit wusch. Die Zeit dehnte sich ins Unendliche. Irgendwann wurde sie wieder eingekleidet, ein strahlend weißes Leinentuch verhüllte ihren Körper, und auch ihre Haare wurden von einem Tuch bedeckt.
Der Körper, in den die Morrigan fuhr, sollte rein sein.
Plötzlich jedoch wurde sie geschüttelt. Jemand sprach mit ihr. Verwirrt hob sie den Blick. Und sah in die bernsteinfarbenen Augen von Branwen. Sie versuchte sich zu konzentrieren, zu verstehen, was ihre Schwester ihr sagen wollte, aber es gelang ihr nicht. Sie sah Tränen in Branwens Augen, als die Wachen sie von ihr fortzogen. Eine große Lethargie hatte sich über Rose gelegt. Branwens Jammern
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