Die Morrigan: Wild Roses, Staffel 1, Band 3 (German Edition)
zurückzuliegen, und es bereitete ihr Übelkeit, als ihr klar wurde, dass sie genau genommen fast 126 Jahre in der Zukunft lagen.
Enora nickte. „Ja. Serge. Was ich damit sagen will, ist: Es gibt ein Leben abseits von all dem hier.“ Um ihren Mund hatten sich tiefe Falten gegraben, während sie sprach, und wenn Rose nicht so beschäftigt mit ihren eigenen Nöten und Sorgen gewesen wäre, hätte sie sich vielleicht stärker darüber gewundert, dass ihre Freundin in diesem Moment regelrecht schuldbewusst wirkte.
„Ein Leben, das aus Klamotten und Schuhekaufen besteht?“, murmelte Rose.
Enora lachte. „Jede Epoche hat ihre Meisterwerke, und 2014 heißen die eindeutig Louboutin.“ Sie blies sich gegen die blonden Haare. „Oder Manolo Blahnik.“
„Ich glaube irgendwie nicht, dass du Alan mit der Aufzählung sämtlicher Schuhdesigner dazu bringen kannst, uns nach 2014 zurückzubringen.“
Enora zuckte mit den Schultern. „Im Krieg und in der Liebe sind alle Waffen erlaubt.“
Krieg. Und Liebe. Rose wusste gerade nicht genau, womit sie es eigentlich zu tun hatte.
„Alan“, murmelte sie nachdenklich. Wo er jetzt wohl war?
„Ich kann ihn verstehen“, sagte Enora. „Er hasst sich fürchterlich für das, was er dir wieder und wieder antun muss. Ich war oft dabei und konnte sehen, wie er jedes Mal zusammengebrochen ist. Mehr als einmal hätte er sich am liebsten selbst getötet, aber Branwen ließ ihn nicht.“ Enora zögerte kurz, bevor sie hinzufügte: „Er tat mir jedes Mal richtig leid. Und das, obwohl ich versucht habe, ihn dafür zu hassen.“ Sie ächzte schwer. „Glaub mir, die Situation ist nicht nur für dich verwirrend, auch ich weiß oft nicht mehr, was richtig und was falsch ist.“
„Wie kommt es, dass du mir durch die Zeiten folgst?“, fragte sie. „Und Glynis ...“
Enora hob eine Hand und wehrte weitere Fragen nach der Vergangenheit ab. „Wenn es an der Zeit ist, dass du dich daran erinnerst, dann wirst du Antworten auf diese Fragen erhalten. Erwarte nicht von mir, dass ich dir wie Glynis etwas über damals erzähle!“ Hart wirkte sie bei diesen Worten, und Rose fühlte sich nicht in der Lage, sich gegen ihren unbeugsamen Willen zur Wehr zu setzen.
Sie schloss die Augen wieder und wandte den Kopf Richtung Sonne. Wo bist du, Alan? , dachte sie.
Wie ein Feigling war er aus Erdeven davongeritten. Ohne Ziel hatte er dem Pferd die Führung überlassen, bis die Schmerzen, die immer stärker wurden, ihn zum Anhalten zwangen. Er fürchtete sich davor, schwach zu werden, den Schmerzen und der Todesangst nachzugeben und das Pferd umzuwenden und zurückzureiten. „Nein“, presste er durch die zusammengebissenen Zähne hervor. „Niemals!“ Niemals würde er Hand an Rose legen, solange er selbst darüber die Kontrolle hatte. Er trieb das Pferd wieder an. Irgendwann sah er in der Ferne vereinzelte Lichter des Städtchens Carnac. Da ein leichter Nieselregen eingesetzt hatte, beschloss er, in einem Wirtshaus Schutz zu suchen, also ritt er in die Stadt hinein. Direkt neben der Kirche St. Cornély fand er eine noch geöffnete Kneipe. Ein schummriges Loch, in dem Gestalten vor ihren Bechern saßen, die mehr tot als lebendig wirkten. Genau der richtige Ort für mich, dachte Alan in einem Anflug von Zynismus. Er trat zum Tresen, hinter dem ein gut genährter Wirt mit abweisender Miene durch seine Rechnungsbücher blätterte. Kurz musste er sich an der Theke festhalten und um Luft ringen, weil ihn ein kurzer, heftiger Schmerz in der Lunge schwanken ließ. Doch zum Glück war es nur ein Moment, danach versank sein Körper wieder in das dumpfe Hämmern und Brennen, das er nun schon seit Stunden verspürte. Er blickte den Wirt an und sagte: „Einen Calvados, bitte.“
Der Wirt hob den Kopf, musterte ihn und antwortete: „Nur gegen Bargeld.“
Alan griff in die Taschen seiner Hose, fand dort einige Münzen und legte sie auf den Tresen. Befriedigt nickte der Wirt, wandte sich zu einem Schrank mit Gläsern und Flaschen um und schenkte Alan ein großzügiges Glas Apfelschnaps ein. Alan ergriff das Glas und verzog sich damit zu einem der Tische in der Nähe des Kamins.
Der Fusel rann ihm mit jedem Schluck heiß und ätzend die Kehle hinunter und setzte seinen Magen in Flammen. Es war ihm egal. Alles, was er wollte, war zu vergessen, und da kam ihm das starke Zeug gerade recht.
Gedankenverloren drehte er das Glas im Kreis. Was, wenn Glynis recht hatte? Wenn sie kurz davor standen, den Fluch im
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