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Die Moselreise - Roman eines Kindes

Titel: Die Moselreise - Roman eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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uns ein bißchen«, und dann gingen wir eine steile Straße hinauf und fanden endlich oben, fast am Ende der steilen Straße und schon direkt neben einem Weinberg, ein Café, in dem wir frühstückten. Obwohl Sonntag war, gab es frische Brötchen und hausgemachte Marmelade und etwas Käse und zwei gekochte Eier, und Papa trank starken Kaffee, und ich trank Hagebuttentee.
    An Mama denken
    Schade, dass Mama uns keine Karten oder Briefe schreiben kann, so wie wir das tun. So hören wir von Mama rein gar nichts. Papa sagt, dass Mama vielleicht in unser Ferienhäuschen im Westerwald gefahren ist und dass sie dann heute Mittag bei Oma und Opa zu Mittag essen wird. Ich habe einen Moment nachgedacht, und dann habe ich genau gewusst, dass Mama im Westerwald ist und bei Oma und Opa zu Mittag isst.
    Nach dem Frühstück sagte Papa dann, dass es heute in Cochem von Stunde zu Stunde immer voller werde und wir uns deshalb nicht allzu lange in Cochem aufhalten würden. Damit ich aber einen guten Eindruck von Cochem erhalte, würden wir nach dem Gottesdienst mit dem Sessellift hinauf auf die Höhe über Cochem fahren. Da hätten wir unsere Ruhe und könnten Cochem dann einfach von oben betrachten. Ich fand den Vorschlag sehr gut, und ich freute mich auf
die Fahrt mit dem Sessellift, vorher aber gingen wir noch in die Kirche und warteten etwas, bis der letzte Morgengottesdienst begann, der Morgengottesdienst kurz vor Mittag. Wir haben dann beide sehr kräftig gesungen, Papa natürlich etwas kräftiger als ich, und wir sind beide zur Kommunion gegangen, und ich habe den lieben Gott gebeten, uns zu beschützen und die Mama zu beschützen. Nach dem Segen aber habe ich dem lieben Gott noch für die wunderschöne Moselreise mit Papa gedankt, und ich habe dem lieben Gott versprochen, mit Hilfe all meiner Zettel, Karten und all meines Krimskrams ein ausführliches Reisetagebuch zu schreiben.
    Cochem
    Cochem ist eine sehr volle Stadt, viel voller als die anderen Orte an der Mosel. Die vielen Menschen, die durch Cochem gehen, gehen von einem Lokal zum andern und überlegen, ob sie in das Lokal gehen oder ob nicht. Meistens gehen sie nicht hinein, und dann gehen sie weiter, und dann bleiben sie wieder stehen, und dann gehen sie wieder weiter. Ich habe so eine Stadt, in der die Menschen unaufhörlich herum gehen und sich alle Lokale ansehen, noch nie gesehen. Deshalb ist Cochem auch eine bleibende Erinnerung, und nicht nur eine Erinnerung, die ich bald wieder vergessen werde.
    Nach dem Gottesdienst sind Papa und ich zu der Station gegangen, wo der Sessellift abfuhr. Es war gerade Mittag, und deshalb standen an der Station auch nicht sehr viele Menschen. Die meisten Menschen waren nämlich nun endlich in irgendein Lokal gegangen, um dort zu Mittag zu essen.
Als unser Sessellift hinauf auf die Höhe über Cochem fuhr, hörten wir einige Menschen singen, viele andere aber hörten wir reden, so dass Cochem, als wir auf die Stadt herunter schauten, sich wie ein murmelnder Ameisenhaufen anhörte. Von der Höhe aus wirkte Cochem auf mich dann aber nicht mehr wie ein murmelnder Ameisenhaufen, sondern wie eine Siku-Stadt. In einer richtigen Siku-Stadt nämlich gibt es nur Spielzeug, lauter Spielzeug, keine wirklichen Sachen. Und genau so sah Cochem aus: als würden die Menschen gar nicht wirklich in Cochem essen und trinken, sondern als würden sie in Spielzeughäusern so tun, als würden sie essen und trinken.
     
    Auf der Höhe über Cochem gab es das Pinnerkreuz, und von diesem Kreuz aus konnten Papa und ich dann über das ganze Moseltal schauen. Die Mosel war sehr weit weg, und gegenüber gab es eine große Ritterburg, und unten am Fluss lag die Siku-Stadt Cochem und war endlich einmal still, vollkommen still.
    Postkarte 11
    Liebe Mama, wir haben die Jugendherberge, wie Papa gesagt hat, »fluchtartig« verlassen und in einem ruhigen Eck von Cochem gefrühstückt. Das war ein Glück, denn in Cochem gibt es sonst keine ruhigen Ecken, sondern nur sehr viele Menschen, die laufend umher ziehen, als suchten sie etwas. Sie suchen aber anscheinend nur nach einem Lokal, können das richtige Lokal aber erst nach sehr langem Suchen finden. Herzliche Sonntagsgrüße von Deinem Bub

    Als wir mit dem Sessellift wieder in Cochem ankamen, war es richtiger Mittag, und es waren nicht mehr so viele Menschen wie zuvor unterwegs. Papa fragte mich, ob ich Hunger habe, und ich antwortete ihm, dass ich noch gar keinen Hunger habe und wir von mir aus sofort losziehen

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