Die Moselreise - Roman eines Kindes
genau auf das Weinfass gesetzt, in dem der beste Wein war, weil sie nämlich den besten Wein nicht hergeben wollte.
1. August 1963
Gestern hatten wir in Bullay ein herrschaftliches Frühstück mit Rührei und Spiegeleiern mit Speck bekommen. Heute aber, bei der Familie U. in Traben-Trarbach, bekamen wir ein ganz einfaches Frühstück, nämlich einige Scheiben Toastbrot und etwas Marmelade und dazu noch etwas Butter. Papa sagte, es sei gut, nur ein einfaches Frühstück zu bekommen, denn wir hätten heute viel vor und könnten uns nicht lange mit dem Frühstücken aufhalten. Deshalb haben wir
dann auch nur kurz gefrühstückt und sind dann mit unseren gepackten Rucksäcken zum Bahnhof von Traben-Trarbach gegangen. Die Rucksäcke haben wir beim Bahnhofsvorsteher deponiert, und dann sind wir ohne unsere Rucksäcke mit dem Omnibus nach Bernkastel-Kues gefahren.
Papa frühstückt
Ich glaube, Papa frühstückt eigentlich gar nicht so gern. Manchmal sagt er nämlich über das Frühstücken, dass es zu lang dauere oder dass es eigentlich überflüssig sei oder dass man sich nicht aufhalten solle mit dem Frühstück. Es kommt auch vor, dass er während des Frühstücks schon in eine Zeitung schaut und dann das Frühstücken vergisst. Sehr oft schaut Papa am Morgen auch in die Karte oder in ein Buch, dann vergisst er das Frühstücken erst recht. Sein Kaffee wird kalt, und wenn er bemerkt, dass sein Kaffee kalt geworden ist, sagt Papa »Na, jetzt ist der Kaffee kalt« und trinkt ihn nicht mehr und frühstückt auch nicht mehr, als sei er froh, dass er nicht mehr zu frühstücken brauche.
Fragen
Ich: Frühstückst Du eigentlich gern?
Papa: Wieso fragst Du das?
Ich: Weil ich glaube, dass Du nicht besonders gern frühstückst. Du lässt das Frühstück nämlich oft stehen und frühstückst gar nicht richtig zu Ende.
Papa: Ach so, deshalb fragst Du. Ja, weißt Du, früher, als ich ein Bub war so wie Du jetzt, da habe ich immer nur sehr eilig gefrühstückt. Weil ich ja einen langen Schulweg hatte und weil mir auch niemand ein Frühstück hingestellt hat. Meine Eltern hatten dafür gar keine Zeit, und ich selbst hatte auch nie Zeit.
Ein Schluck Kaffee, eine Scheibe Brot mit Honig, das war’s, das war mein Frühstück.
Ich: Aber jetzt hast Du doch Zeit, jetzt könntest Du doch in Ruhe frühstücken.
Papa: Das stimmt, ja, jetzt haben wir Zeit, wir könnten in Ruhe frühstücken. Ich finde das Frühstück aber nicht so wichtig, ich finde es wichtiger, früh loszuziehen und den Tag früh und vor allem frisch zu beginnen. Langes Frühstücken macht müde und dumm.
Ich: Meinst Du das ernst?
Papa: Halb ernst. Müde macht langes Frühstücken auf jeden Fall, und etwas dumm macht es auch.
Der Omnibus schaukelte ziemlich stark an der Mosel entlang, und wir fuhren dann durch Kröv (das Kröv mit dem »Nacktarsch«) und später durch Uerzig und noch später durch Wehlen, und in allen Orten erzählte Papa mir Geschichten von den Weinlagen, deren Namen manchmal auch in großen Buchstaben hoch oben in den Weinbergen standen. Noch am Vormittag kamen wir in Bernkastel-Kues an, und Papa sagte: »Na, habe ich nicht recht gehabt? Ist es nicht gut, dass wir schon so früh hier ankommen und nicht erst gegen Mittag?« Natürlich hatte Papa recht, es war gut, schon so früh anzukommen, denn so hatten wir Zeit, von Bernkastel aus über die Brücke hinüber nach Kues und dort an der Mosel zu Fuß entlang zu gehen.
Direkt am Moselufer von Kues haben wir dann auch das Geburtshaus des großen Mannes aus Kues gefunden. Papa hat erzählt, dass Nikolaus von Kues eigentlich Niklas Kryffts hieß und dass, wenn man Niklas Kryffts übersetzt, Nikolaus
Krebs heraus kommt. Nikolaus von Kues hieß also eigentlich Nikolaus Krebs, und Papa hat mir dann auch den roten Krebs gezeigt, den Nikolaus von Kues in seinem Wappen hatte. Es war ein sehr schöner roter Krebs mit sehr vielen roten Beinen an beiden Seiten. Die roten Beine sahen aus wie kleine Ruder, und vorne am Kopf hatte der rote Krebs zwei Antennen zum Steuern. Der Vater von Nikolaus von Kues war ein reicher Schiffersmann, der so viel Geld hatte, dass er seinen Sohn studieren lassen konnte. Nikolaus von Kues hat dann auch viel studiert, zunächst hat er noch in Deutschland, dann aber hat er auch in Italien studiert. Er lernte sehr gut Latein und Griechisch, und er wurde schon als junger Mann sehr geachtet, weil er so klug war, viele Sprachen sprach und auch viel von der Philosophie
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