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Die Moselreise - Roman eines Kindes

Titel: Die Moselreise - Roman eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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anschaut und mir genau zuhört. Wenn ich auf der Orgel spiele, spiele ich also nicht nur für die Leute im Gottesdienst, sondern vor allem auch für den lieben Gott. Ich glaube, dass der liebe Gott die schönen Kirchenlieder am liebsten mag. Der liebe Gott mag die schönen Kirchenlieder noch mehr als die Stücke, die die Komponisten für den lieben Gott geschrieben haben. Von den Stücken der Komponisten mag der liebe Gott am liebsten die sehr schöne Toccata von Charles Widor, die so klingt, als sei sie sehr schwer zu spielen. Sie ist aber nicht schwer zu spielen, ich habe sie schon oft gespielt, und zwar immer am Ende des Gottesdienstes.
    Nach unserem Gespräch über den lieben Gott und den großen Mann aus Kues sind Papa und ich dann über die Moselbrücke zurück nach Bernkastel gegangen. Wir sind durch die schönen Gassen von Bernkastel gegangen und haben uns die schönen, alten Häuser von Bernkastel sowie den Marktplatz angeschaut. Da gerade Mittag war, war es in Bernkastel sehr still, und so gefiel Papa und mir Bernkastel
ganz besonders, denn in Bernkastel waren sehr viele schöne alte Häuser wie in Cochem und in Beilstein, es war aber in Bernkastel nicht so voll wie in Cochem und Beilstein. »Gut, dass wir noch nach Bernkastel-Kues gefahren sind«, hat Papa gesagt, und ich habe geantwortet, dass mir Bernkastel-Kues wirklich sehr gefalle und dass die Fremden hier nicht wie im Film herum laufen würden und auch nicht immerzu auf der Suche nach einem Restaurant wären. »Richtig«, hat Papa gesagt, und dann hat er noch gesagt, dass auch wir nicht auf der Suche seien, sondern uns hier direkt, auf den schönen Marktplatz, setzen würden, um »eine Kleinigkeit« zu essen.
     
    Es gab auf dem schönen Marktplatz von Bernkastel-Kues denn auch ein gutes Restaurant mit einer Terrasse, und so haben wir uns auf die Terrasse gesetzt. Papa hat vor lauter Vergnügen vor sich hin gepfiffen, so sehr hat er sich über den schönen Tag in Bernkastel-Kues gefreut. Und dann haben wir zwei große Forellen (also jeder eine ganze) gegessen und dazu Salat und Butterkartoffeln, und Papa hat diesmal nicht nur ein Glas Wein, sondern zwei Gläser Wein getrunken. Der Wein hieß »Wehlener Sonnenuhr«, nach dem Ort Wehlen, durch den wir am Vormittag mit dem Bus gefahren waren. Papa hat gesagt, dass man von dem Wein »Wehlener Sonnenuhr« immer zwei Gläser und nicht nur ein Glas trinken müsse, das stehe nämlich auf jeder Flasche des Weins »Wehlener Sonnenuhr«. Da habe ich gesagt, dass man zu einer ganzen Forelle auch zwei Flaschen Sprudel oder eine Flasche Sprudel und eine Flasche »Sinalco« trinken
müsse, das stehe nämlich auf jeder Forelle. Da hat Papa wirklich sehr lachen müssen. Vor lauter Lachen hat er sich beinahe verschluckt, und am Ende hat er gesagt, dass aus mir vielleicht doch noch ein Theologe werden würde, denn was ich da gerade gesagt habe, sei eines sehr guten Theologen würdig. Ich habe nicht richtig verstanden, was Papa damit meinte, aber ich habe nicht nachgefragt, sondern lieber die sehr gute Forelle gegessen, die Papa für mich in schöne, kleine Stücke zerlegt hatte.
    Warum ich kein Theologe oder Priester werden möchte
    Weil ich nicht laufend predigen möchte
    Weil ich keine Beichte hören möchte
    Weil ich überhaupt von den Sünden nichts hören möchte
    Weil ich nicht immerzu vom lieben Gott sprechen möchte
    Weil ich den lieben Gott nicht bedrängen möchte
    Weil ich lieber allein mit dem lieben Gott sprechen möchte
    Weil ich Kirchenchöre nicht mag und mir als Priester oft den Gesang von Kirchenchören anhören müsste
    Weil ich als Priester nicht ins Freibad gehen könnte
    Weil ich als Priester auch vieles andere, das andere Menschen tun, nicht tun dürfte
    Nach dem schönen Mittagessen auf dem Marktplatz von Bernkastel-Kues sind Papa und ich dann wieder mit dem Omnibus nach Traben-Trarbach zurück gefahren. Der Omnibus hat wieder furchtbar geschwankt, und es saßen außer uns nur drei Leute drin. Auch unterwegs ist fast niemand eingestiegen, und Papa hat gesagt, dass wir heute einen »Glückstag« hätten. Dass wir einen »Glückstag« bekommen
würden, das habe er aber schon am Morgen gespürt, hat Papa noch gesagt, und ich habe gesagt, ich habe auch so etwas gespürt und vielleicht komme der »Glückstag« daher, dass der liebe Gott uns heute noch stärker anschaue als sowieso schon.
     
    In Traben-Trarbach haben wir dann unsere Rucksäcke beim Bahnhofsvorsteher abgeholt, und dann sind wir mit

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