Die Mütze
Einen Augenblick lang glaubte Efim - idiotisch, völlig absurd und irreal -, daß der Direktor gebeten hätte, ihm nachzulaufen und ihn zurückzuholen...
Natürlich war dieser Gedanke unsinnig. Der Direktor des Produktionskombinats, selbst wenn er von den Organen kam, konnte niemals den weltberühmten Mylnikow losschicken, um den nichtberühmten Rachlin zurückzuholen, aber Efim blieb trotzdem stehen und hielt den Atem an, im Vorgefühl des geschehenen Wunders.
»Paß auf!« Mylnikow schnaufte und fuchtelte mit seiner Dachsmütze. »Ich hab's ja ganz vergessen... Auch in dieser... wie heißt sie noch... Yorkshire Post war ein Artikel über mich, fast eine ganze Seite. Mit Foto... Und die haben geschrieben, ich bin der moderne Kafka.«
Abends kam Besuch. Zwei Polarforscher mit ihren Frauen. Und später brachte Tischka seine neue Freundin mit, die sich als Dascha vorstellte. Daschas Vater arbeitete irgendwo im Ausland, in einer Aeroflot-Vertretung, ein Umstand, der an Daschas Garderobe nicht zu übersehen war.
Die Stimmung ließ anfangs zu wünschen übrig. Die Polarforscher waren sehr gehemmt, der Beruf des Gastgebers machte sie offensichtlich befangen. Das junge Mädchen, zum erstenmal im Hause, war ebenfalls unsicher. Hin und wieder streifte ein rascher und aufmerksamer Blick bald Efim, bald Kukuscha (wahrscheinlich schätzte sie die beiden ab). Die jungen Leute blieben allerdings nicht lange. Nach dem Abendessen hielten sie die Anstands-Halbestunde ein und verabschiedeten sich formvollendet. Tischka rief seinen Vater in den Korridor hinaus und knöpfte ihm fünf Rubel für das Taxi ab, um Dascha nach Hause zu bringen. Sie wohnte in der Nähe des Retschnoj-Bahnhofs.
Nachdem sie gegangen waren, fühlten sich die Polarforscher, die sich inzwischen einen leichten Schwips angetrunken hatten, immer wohler und erzählten, lachend und einander unterbrechend, komische Vorfälle aus ihrem Alltag. Alle Geschichten waren ähnlich: Jemand brach auf dem Eis ein und rief statt »Hilfe!« aus einem unerfindlichen Grund »Platz da!« Ein anderer klaute nachts in der Küche eine Dose Zucchini und hatte am nächsten Tag fürchterlichen Durchfall. Aber ihre schönste Geschichte war die vom Expeditionschef, der sich frühmorgens hinter eine Schneewehe hingehockt hatte und auf einmal fühlte, daß jemand ihm den Hintern leckte. Falls dieses Ereignis einmal Wirklichkeit gewesen sein sollte, so hatte es sich doch längst in eine Legende verwandelt, in der der Chef, im Glauben, es sei der Wirtschaftsleiter, fragte: »Bist du es, Prochorow?« Als er sich umblickte und hinter sich den Eisbären entdeckte, stürzte er mit rutschenden Hosen davon. Das gesellige Beisammensein solcher mutiger Menschen pflegte meistens mit dem Austausch derartiger Geschichten zu enden. Efim kannte sie inzwischen alle auswendig, aber da es ihm darum ging, sich als ihresgleichen auszugeben, lachte er in der Regel am lautesten darüber. Heute jedoch war ihm nicht nach Lachen zumute. Er konnte die Kränkung, die ihm im Produktionskombinat widerfahren war, nicht vergessen und lächelte nur höflichkeitshalber, wobei er selbst fühlte, daß es kein echtes Lächeln war.
Aber nach einigen Gläsern armenischen Cognacs sprang die allgemeine Stimmung auch auf ihn über, er setzte sich ans Klavier und begleitete Kukuscha, die den Gästen einige obszöne Couplets vortrug. Die Gäste stutzten zuerst, stimmten dann aber ein, wobei sich herausstellte, daß das eine Paar zweistimmige Lieder aus Wologda im Repertoire hatte, die an Unverblümtheit Kukuschas Verse bei weitem übertrafen. Mit einem Wort, es wurde ein gelungener Abend. Die Gäste verabschiedeten sich gegen ein Uhr nachts und setzten das Gespräch mit Efim noch lange von der Straße herauf fort, der von dem verschneiten Balkon antwortete und wild gestikulierte. Dann schickte er Kukuscha ins Bett (sie mußte am nächsten Morgen wieder arbeiten), trug das Geschirr in die Küche und spülte es, indem er auf Tischka wartete und den weiteren Verlauf der Operation überlegte. Kein Gedanke mehr an die Mütze und an Andrej Andrejewitsch.
Tischka kam erst nach zwei, lehnte den angebotenen Tee ab und ging sofort in sein Zimmer. Viertel vor drei schlüpfte Efim unter die Decke zu Kukuscha, die mit dem Gesicht zur Wand ruhig schlief. Er schmiegte sich an ihren Rücken und etwas regte sich in ihm. Ungeachtet seines Alters und der Hypertonie war seine Manneskraft ungebrochen, und er plagte Kukuscha öfter, als ihr lieb war.
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