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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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übergeschnappt. «
    »So ist es«, bestätigte Baranow, »er hat eine Depression. Ich habe es Ihnen doch gesagt.«
    Ich entgegnete, daß Efim nicht unter einer Depression, sondern im Gegenteil, unter eine Euphorie leide, die zweifellos einen schlimmen Ausgang nehmen würde.
    »Was ist denn passiert?«
    Es stellte sich heraus, daß er überhaupt nicht im Bilde war. Begreiflicherweise war es mir nicht möglich, unsere Unterhaltung auf dem Boulevard zu referieren. Aber ich erzählte von dem durchgebissenen Daumen.
    Ich hatte den Eindruck, daß Baranow wirklich erschüttert war.
    »Efim hat Karetnikow gebissen? Das kann ich nicht glauben.«
    Er wollte mir nicht glauben, rief Efim an und dann wieder mich.
    »Ich bin ganz Ihrer Meinung, die Aktien stehen schlecht, aber ich mußte Fimka gratulieren.«
    »Wozu denn?«
    »Er hat Karetnikow gebissen - das ist das Talentierteste, was er auf dem Gebiet der Literatur vollbracht hat.«
    Ich hatte kaum aufgelegt, als das Telefon von neuem schrillte. Diesmal war es Efim.
    »Das Schicksal nimmt seinen Lauf!« schrie er triumphierend.
    Ich erkundigte mich, wie dieser Lauf im einzelnen denn aussehe.
    Es stellte sich heraus, daß Efim bereits erfahren hatte, wie der gebissene Karetnikow umgehend mit einem gewissen Mitglied des Politbüros, einem alten Kriegskameraden, telefoniert, wie der ihn angehört und gesagt hätte: »Du kannst ganz ruhig sein, Wassilij Stepanowitsch! Wir werden der Sache auf den Grund gehen. Wir werden es nicht dulden, daß Fremdstämmige unsere nationalen Kader tätlich angreifen.«
    »Kannst du dir das vorstellen?« schrie Efim. »>Wir werden es nicht dulden!<, >Fremdstämmige<, das heißt Juden! Wenn also ein Russe Karetnikow gebissen hätte, dann wäre es nicht so schlimm, einem Juden aber ist Beißen nicht erlaubt!«
    Ganz behutsam gab ich Efim zu bedenken, daß es sich dabei möglicherweise nur um ein Gerücht handele, ein Politbüromitglied dürfe sich kaum eine solche Äußerung erlauben, und daß es überhaupt nicht ratsam sei, sich fernmündlich über derlei auszutauschen.
    »Mir ist das alles egal«, versetzte Efim dreist. »Ich sage, was ich denke, ich habe nichts zu verbergen.«
    Ich wurde wütend. Er war immer so vorsichtig gewesen und pflegte sich sonst so verschlüsselt auszudrücken, daß man ihn kaum verstehen konnte. Aber jetzt, ausgerechnet jetzt, wollte er nichts mehr verbergen, und die Möglichkeit, daß ein anderer vielleicht etwas zu verbergen hätte, zog er gar nicht in Betracht.
    Das Gerücht von dem unheildrohenden Ausspruch des Politbüromitglieds verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch ganz Moskau, und die Menschen änderten gegenüber Efim ihr Verhalten. Einige seiner Bekannten grüßten ihn nicht mehr und wichen ihm aus wie einem Aussätzigen, andere zogen ihn in einen entlegenen Winkel, beglückwünschten ihn und priesen seinen Mut. Efim selbst veränderte sich ebenfalls. Wie ich hörte, sprach er in jenen Tagen viel von menschlicher Würde und soll hinzugefügt haben (manchmal ohne ersichtlichen Grund), daß Zivilcourage wesentlich seltener sei als Tapferkeit vor dem Feind, was er mit Beispielen aus dem Leben von Menschen belegte, die unter extremen Bedingungen wahre Wunder vollbrächten, während sie im Alltag gehorsame und schüchterne Geschöpfe seien.
    Inzwischen kam der bis ins letzte Detail perfekte, aber dennoch geheimnisvolle Mechanismus der Verfemung in Gang. Zuerst ließ der Verlag Junge Garde Efim wissen, daß sein Buch in diesem Jahr wegen Papierknappheit nicht erscheinen könne. Dann kam ein Anruf von    Lenfilm , die Redaktionssitzung, in der über das Drehbuch nach einem seiner Romane beraten werden sollte, sei bis auf weiteres verschoben. Die Literatursendung, in der Ausschnitte aus der Lawine gelesen werden sollten, wurde aus dem Programm genommen und durch ein Aufklärungsgespräch über Alkoholismus ersetzt. Und als schließlich sogar ein in Auftrag gegebener Artikel aus der Redaktion Geologie und Mineralogie zurückkam, wurde Efim klar, daß nun der Spaß aufgehört hatte. Aber er behielt seine kriegerische Haltung bei, ja, er entschloß sich zum Gegenangriff und entwarf eines Abends einen Brief an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion über Korruption, Vetternwirtschaft und Speichelleckerei innerhalb des Schriftstellerverbandes, die sich in Auflagenhöhe, Pressestimmen, Dienstreisen ins Ausland, Kuraufenthalten, Datschen und sogar in der Qualität von Pelzmützen auswirkten. Der

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