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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sie das Elixier nicht genommen?«
    Es folgte noch ein Abschnitt der Übersetzung:

    »Wie kann ich diese Bürde noch länger tragen? Wie kann ich die Einsamkeit ausholten? Doch ich kann nicht sterben.
    Ihre Gifte zeigen keine Wirkung. Sie verwahren mein Elixier sicher, damit ich von anderen Königinnen träumen kann, gerecht und weise, die die Jahrhunderte mit mir teilen. Aber sehe ich nicht ihr Gesicht? Höre ich nicht ihre Stimme?
    Kleopatra. Gestern. Morgen. Kleopatra.«

    Es folgten mehrere gekritzelte Absätze in lateinisch, die Julie nicht lesen konnte. Sie hätte sie nicht einmal mit Hilfe des Wörterbuchs übersetzen können. Danach folgten einige Zeilen in Altägyptisch, dieebenso wenig zu entziffern waren wie das Lateinische. Dann nichts mehr.
    Sie legte das Buch weg. Sie kämpfte gegen die unausweichlichen Tränen. Es war fast, als spürte sie die Präsenz ihres Vaters in diesem Zimmer. Wie aufgeregt er gewesen sein mußte, sie konnte es an seiner Handschrift sehen.
    Und wie faszinierend das ganze Geheimnis war.
    Irgendwo inmitten dieser Gifte ein Elixier, welches das ewige Leben enthielt? Man mußte es nicht wörtlich nehmen, um es schön zu finden. Man mußte nur den kleinen silbernen Brenner mit der winzigen Phiole betrachten. Ramses der Verdammte hatte es geglaubt. Vielleicht hatte ihr Vater es auch geglaubt. Und im Augenblick glaubte sie es vielleicht auch.
    Sie stand langsam auf und ging zu dem langen Marmortisch an der gegenüberliegenden Wand. Die Schriftrollen waren zu zerbrechlich. Überall waren winzige Stückchen Papyrus verstreut. Sie hatte selbst gesehen, wie diese Beschädigungen zustande gekommen waren, obwohl die Männer sie so behutsam aus den Kisten geholt hatten. Sie wagte nicht, sie zu be-rühren. Außerdem konnte sie sie sowieso nicht lesen.
    Und die Gläser, die durfte sie auch nicht berühren. Was hätte nicht alles passieren können, wenn etwas von dem Gift verschüttet wurde oder in die Luft entwich.
    Plötzlich betrachtete sie ihr eigenes Spiegelbild im Spiegel an der Wand. Sie ging zum Schreibtisch zurück und schlug die zusammengelegte Zeitung auf, die dort lag.
    Shakespeares Antonius und Kleopatra erfreute sich einer langen Laufzeit in London. Sie hatten sich das Stück ansehen wollen, aber Alex schlief bei ernsten Stücken immer ein. Nur Gilbert und Sullivan vermochten Alex zu unterhalten, und selbst dabei schlief er in der Regel gegen Ende des dritten Akts tief und fest.
    Sie studierte die kurze Ankündigung des Stückes. Sie stand auf und griff auf dem Regal über dem Schreibtisch nach Plutarch.

    Wo war die Geschichte von Kleopatra? Plutarch hatte ihr keine eigene Biographie gewidmet. Nein, ihre Geschichte war natürlich in der von Markus Antonius aufgegangen.
    Sie blätterte rasch zu den Seiten, an die sie sich nur noch va-ge erinnerte. Kleopatra war eine große Königin gewesen, und eine gute Politikerin. Sie hatte nicht nur Cäsar und Antonius verführt, sondern Ägypten jahrzehntelang vor römischer Eroberung bewahrt, bis sie sich schließlich selbst das Leben genommen hatte, als Antonius von eigener Hand starb und Oktavian die Tore gestürmt hatte. Es war unvermeidlich gewesen, daß Ägypten an Rom fiel, aber sie hätte das Blatt beinahe gewendet. Wäre Julius Cäsar nicht ermordet worden, hätte er Kleopatra vielleicht zu seiner Kaiserin gemacht. Wäre Markus Antonius nur ein wenig stärker gewesen, hätte Oktavian vielleicht aufgehalten werden können.
    Doch selbst in ihren letzten Tagen war Kleopatra auf ihre eigene Weise siegreich gewesen. Oktavian wollte sie als königliche Gefangene nach Rom bringen. Sie hatte ihn betrogen.
    Sie hatte zahlreiche Gifte an verurteilten Gefangenen ausprobiert und sich dann für einen Schlangenbiß entschieden, um ihr Leben zu beenden. Die römischen Wachen hatten ihren Selbstmord nicht verhindert. Und so nahm Oktavian Ägypten in Besitz. Aber Kleopatra konnte er nicht haben.
    Julie schlug das Buch fast ehrerbietig zu. Sie betrachtete die lange Reihe von Alabastergefäßen. Konnte es sich wirklich um jene Gifte handeln?
    Sie verfiel, als sie den prunkvollen Sarg betrachtete, in eine seltsam nachdenkliche Stimmung. Hunderte davon hatte sie hier und in Kairo gesehen. Hunderte davon hatte sie untersucht, seit sie sich erinnern konnte. Aber dieser enthielt einen Mann, der behauptete, unsterblich zu sein. Der, als er begraben wurde, behauptet hatte, nicht in den Tod zu gehen, sondern in einen »Schlaf voller Träume«.
    Was war das

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