Die Mumie
Daisy war Dummheit zwingend erforderlich, und dann mußte man mit ihr reden – und reden und reden.
»Um Himmels willen, weshalb sollte sie auch Angst vor der verdammten Mumie haben!« sagte er gereizt. »Dumm ist nur, daß sie den ganzen Plunder dem Museum übergibt. Meine Cousine weiß nicht, was Geld ist. Sie besitzt zuviel davon. Er hat meinen Treuhandanteil um einen Almosen erhöht und hinterläßt ihr ein Schiffsimperium. Er ist derjenige, der…«
Er verstummte. Die kleine Kammer, das Sonnenlicht, das auf das Ding fiel. Er sah es wieder. Sah, was er getan hatte! Nein.
Das war falsch. Er ist an einem Herzanfall oder Schlag gestorben, so ist es – der Mann lag flach auf dem sandigen Boden, ich habe es nicht getan. Und dieses Ding hatte nicht durch die Bandagen gesehen; das war absurd!
Er trank den Champagner zu schnell. Aber er war so gut. Er füllte sein Glas wieder nach.
»Aber eine elende Mumie dort bei ihr im Haus«, sagte Daisy.
Und plötzlich sah er diese Augen wieder, die ihn unter verrot-teten Bandagen anstarrten. Hör auf, du Narr, du hast getan, was du tun mußtest! Hör auf, oder du verlierst den Verstand.
Er stand etwas ungeschickt vom Tisch auf, zog das Jackett an und rückte die Seidenkrawatte zurecht.
»Wohin gehst du?« fragte Daisy. »Wenn du mich fragst, bist du ein wenig zu betrunken zum Ausgehen.«
»Ich frage dich aber nicht«, antwortete er. Sie wußte, wohin er ging. Er hatte die hundert Pfund, die er aus Randolph heraus-pressen konnte, und das Kasino war offen. Es öffnete seine Pforten bei Einbruch der Dunkelheit.
Dort wollte er jetzt allein sein, damit er sich richtig konzentrieren konnte. Wenn er nur daran dachte, an den grünen Filz unter den Lampen und den Klang der Würfel und der Roulet-tescheibe, löste das eine tiefe Erregung in ihm aus. Ein großer Gewinn, und er würde aufhören, das versprach er sich. Und mit hundert Pfund als Startkapital. Nein, er konnte nicht warten…
Natürlich würde er Sharples über den Weg laufen, und er schuldete Sharples zuviel Geld, aber verdammt, wie sollte er das jemals zurückzahlen, wenn er nicht an den Spieltisch konnte, und obwohl er spürte, daß er heute abend kein Glück haben würde – nein, überhaupt kein Glück -, wollte er es zu-mindest versuchen.
»Warte noch, Sir. Setz dich einfach und warte, Sir«, sagte Daisy, die ihm folgte. »Trink noch ein Glas mit mir und mach ein Nickerchen. Es ist gerade erst sechs Uhr.«
»Laß mich in Ruhe«, sagte er. Er zog den Übermantel an und schlüpfte in die Lederhandschuhe. Sharples. Ein dummer Mann, dieser Sharples. Er tastete in der Manteltasche nach dem Messer, das er seit Jahren mit sich herumtrug. Ja, es war noch da. Jetzt zog er es heraus und begutachtete die dünne Stahlklinge.
»O nein, Sir«, stöhnte Daisy.
»Sei nicht albern«, sagte er betont lässig, klappte das Messer zu, steckte es wieder in die Tasche und ging zur Tür.
Abgesehen vom leisen Plätschern des Springbrunnens im Wintergarten war kein Laut zu hören. Die Dämmerung war längst vorüber, und das Ägyptische Zimmer wurde lediglich vom Schein einer Lampe mit grünem Schirm auf Lawrences Schreibtisch erhellt.
Julie saß mit dem Rücken zur Wand auf dem Ledersessel ihres Vaters, ihr seidener Hausmantel war weich und angenehm und überraschend warm, und sie hatte die Hand auf dem Tagebuch liegen, das sie noch nicht gelesen hatte.
Die funkelnde Maske mit den großen, mandelförmigen Augen von Ramses dem Großen war ein wenig furchteinflößend; die Kleopatra aus Marmor schien zu leuchten. Und wie schön waren die Münzen auf schwarzem Samt an der gegenüberliegenden Wand.
Sie hatte sie vorhin eingehend studiert. Dasselbe Profil wie die Büste, dasselbe wallende Haar unter der goldenen Tiara. Eine griechische Kleopatra, nicht die dumme ägyptische Version, die in Shakespeares Tragödie vorkam oder auf den Stichen in illustrierten Ausgaben von Plutarchs Bioi paralleloi oder in zahllosen populären Geschichtsbüchern zu sehen war. Das Profil einer wunderschönen, starken, nicht tragischen Frau.
Stark, so stark, wie die Römer ihre Helden und Heldinnen gerne hatten.
Die dicken Pergament- und Papyrusrollen sahen allzu zerbrechlich aus, wie sie sich dort auf dem Marmortisch stapel-ten. Die anderen Gegenstände konnten ebenso leicht von groben Händen zerstört werden. Federkiele, Tintenfässer, ein kleiner Silberbrenner für Öl mit einem Ring, in den man eine Glasphiole einfügen konnte. Die Phiolen selbst
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